(Foto: Kerstin Hübsch)
Mit einer Ausstellungseröffnung und einer Jam Session (Eröffnung: Marek Novotný Band) haben gestern abend die vierten Dresdner JAZZWELTEN begonnen. Auf dem Programm der nächsten Tage stehen zehn Veranstaltungen, die
in insgesamt sechs Spielstätten angeboten werden, darunter vier Doppelkonzerte. Das Festival schlägt die Brücken vom zeitgenössischen Jazz zu Film, Theater und Literatur und bringt kammermusikalische, noise- und punkrockige sowie frei-improvisatorische Aspekte des zeitgenössischen Jazz auf die Bühnen. Neben der Fotoausstellung des Semperoper-Fotografen Matthias Creutziger begleitet eine kleine Kabinettausstellung zum Thema „15 Jahre Jugendjazzorchester Sachsen“ das Jazzfest. Schirmherrin ist die Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, Dr. Eva-Maria Stange.
Musik in Dresden fragte Mathias Bäumel, den Programmchef des Jazzclubs Neue Tonne und des JAZZWELTEN-Festivals, nach Details.
Sachsen hat eine ungewöhnliche reiche Jazz-Festivallandschaft. Stellen Sie uns die Kollegen kurz vor?
Da wären die großartigen Leipziger Jazztage, die die Weltstars ebenso wie vielversprechenden neue Namen des modernen Jazz auftreten lassen; die Freiberger Jazztage – übrigens das einzige mir bekannte Jazzfestival, das von einer Universität unterstützt wird – die im April zum 34. Mal stattfinden und eine gute Mischung aus deutschen und europäischen Spitzenmusikern bieten; dann die von einer Konzertagentur veranstalteten Jazztage Dresden, bei denen mit wenigen Ausnahmen das kommerziell Bewährte als Festival zusammengefasst wird; sowie die Jazztage Görlitz, die musikalisch etwas mehr in Richtung Pop- und Worldmusic orientiert sind und die Konzerterlebnisse verschiedener Stilarten mit dem Erlebnis außergewöhnlicher Stadträume einer fast tausendjährigen Stadt verbinden. Natürlich gibt es noch das Internationale Dixielandfestival – übrigens nur vier Jahrgänge älter als die Freiberger – mit einer völlig anderen stilistischen Ausrichtung.
Welche Nische finden da die JAZZWELTEN?
Gerade in der Region Dresden fehlte ein Festival, das das So-noch-nicht-Gehörte vorstellt; etwas, das die anderen hier ansässigen Festivals, die eher auf das Schon-manchmal-Gehörte setzen, so nicht leisten. Wir wissen aber: Gerade das ist in Dresden sehr schwer zu realisieren. Bestätigt fühlen wir uns in jedem Falle durch die Ergebnisse und Schlussfolgerungen einer Studie, die die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen und die Ostdeutsche Sparkassenstiftung zum Thema „Musikfestivals im Freistaat Sachsen: Grundlagen und Handlungsstrategien für die Gestaltung der Förderpraxis“ in Auftrag gegeben hatten. Gefragt ist demzufolge künftig eine Profilierung und Schärfung der Festivalangebote. Dabei soll nicht in Quantität, sondern in Qualität investiert werden, in Angebote, die Neues repräsentieren und neues Publikum anziehen, neue Formate enthalten. Ich bin davon überzeugt, dass wir dies mit unserem Festival seit 2005 tun.
Wie zeigt sich das diesmal?
Wie immer werden wir auch zu den JAZZWELTEN 2008 Musik anbieten, die so oder so ähnlich bis dahin in Dresden noch nicht zu hören war, und wir werden Brücken zu anderen Künsten schlagen – zum Theater, zum Film, zur Literatur und zur Fotografie. Das Motto „Zeitsprünge“ wird in verschiedener Weise präsent sein, sowohl als Strukturaspekt der Ästhetik der dargebotenen Musik als auch als Orientierung für die Programmauswahl. So wird es Neuinterpretationen von Musik der Klassiker des zeitgenössischen Jazz geben, aber auch heutige Improvisationen zu historischen Filmen sowie über mittelalterliches Material.
Das sizilianische Trinkle Trio interpretiert zum Beispiel am 5. April Thelonius Monk völlig neu, am selben Abend widmen sich die Japanerin Aki Takase und die Deutsche Silke Eberhard gemeinsam den frühen Kompositionen des Freejazz-Mitbegründers Ornette Coleman. Mit gotischer Fidel und mittelalterlichen Flöten und Harfen nimmt das Duo Hidden Fresco am 2. April Themen und Motive aus dem Mittelalter als Vorlage für zeitgenössische Improvisationen. Ebenfalls am 2. April begegnen sich unter dem Namen „Sonus @ Anima“ (Klang und Seele) die Pianistin Elvira Plenar und die Laptop-Spielerin Karin Ernst.
Sie sprachen auch von neuen Formaten…
Das Festival JAZZWELTEN ist das einzige in Sachsen, bei dem die Nachwuchsförderung wichtiger und kontinuierlicher Teil des Gesamtkonzeptes ist. Beim Festival auftretende international renommierte Musiker geben für Studenten der Musikhochschule Workshops, deren Resultate dann im Rahmen des Festivals als Teilkonzerte öffentlich vorgestellt werden. Daraus entstehen manchmal sogar neue Bands oder Projekte, mit denen die jungen Musiker weiterhin auftreten. Diesmal kommt es zusätzlich zur Zusammenarbeit mit dem Sächsischen Musikrat und dem Sächsischen Jugendjazzorchester, beim mitteldeutschen Jugend-Jazzorchestertreff im Rahmen unseres Festivals. Dazu wird es auch eine Vitrinenausstellung zum Thema „15 Jahre Sächsisches Jugendjazzorchester“ geben.
Und die Brücken zu anderen Künsten?
Auch die können ja als neue Formate angesehen werden und gleichermaßen als – hoffentlich erfolgreiche – Versuche, neue Publikumssegmente zu erobern. Improvisierte Musik zu Stummfilmen ist nicht völlig neu – aber wir zeigen am 30. März in der „Schauburg“ Kurzfilme rund um das Thema Franz Kafka, und Baby Sommer plus die Band Lautstark!4 improvisieren dazu. Am 1. April dann wird das Leben der Bildhauerin Camille Claudel – der Partnerin Auguste Rodins – musikalisch-textlich interpretiert und er-improvisiert. Dabei begegnet die Münchner Schauspielerin Minnie Oehl, die auch das Stück geschrieben hat, dem polnischen Kontrabassisten Helmut Nadolski – beide gestalten eine Aufführung der psychischen Spannungen und Befreiungsschläge. Mit dem Polen Helmut Nadolski agiert ein Bassist, dessen Aussehen allein schon so dämonisch wirkt wie das Aussehen Auguste Rodins. Nadolski, Anfang der siebziger Jahre der Bassist des mystischen Czeslaw Niemen und seither als einer der fast vergessenen ganz Großen der osteuropäischen Improvisationsmusik stets ein Einzelgänger, schuf im Laufe der Jahre immer wieder eine düstere, enigmatisch wirkende Klänge. Der Jazzclub Neue Tonne Dresden hat diesen Kontrabassisten extra gesucht und für dieses Programm reaktiviert – die Freunde der Niemen-Musik à la „Requiem for Van Gogh“ wird es freuen.
Und schließlich gibt es am 3. April noch einen – wirklich ungewöhnlichen – Brückenschlag. Zunächst wird die grande dame der tschechischen Schauspielkunst, Zdenka Prochazková, gemeinsam mit einem Pianisten die Originalversion von »Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke« des 1944 in Auschwitz ermordeten Komponisten Viktor Ullmann aufführen (Siegfried Matthus hatte ja in der ersten Hälfte der achtziger Jahre eine Opernversion des Stoffes für die Semperoper komponiert). Danach gibt es Jazzimprovisationen zu Liebesgedichten von Rainer Maria Rilke – vorgetragen von der Prochazková, am Piano Wolfgang Torkler.
Mit Mathias Bäumel sprachen Martin Morgenstern, Mátyás Facska und Anders Winter.