Vor genau siebzig Jahren flog in München die Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ auf, angeschwärzt vom Pedell der Münchener Universität, der dafür 3.000 Reichsmark Kopfgeld erhielt. Die Geschwister Sophie und Hans Scholl zahlten ihr Engagement gegen das Naziregime – nur vier Tage nach ihrer Festnahme – mit dem Leben. In einem Schauprozess am sogenannten Volksgerichtshof wurden sie zum Tod durch das Fallbeil verurteilt. Vollstreckt worden ist dieser Justizmord am 22. Februar 1943. Das Geschehen ist durch Bücher und Verfilmungen bekannt gemacht worden. Zahlreiche Städte haben Straßen nach den Scholls benannt. Manchenorts war das ein Kampf und keine Selbstverständlichkeit. Anderswo hielten sie Einzug in Schulstoff und wurden zum Allgemeingut.
Der 1943 in Dresden geborene Komponist Udo Zimmermann verfasste gemeinsam mit seinem Bruder Ingo als Mittzwanziger die Kammeroper „Die Weiße Rose“. Knapp zwei Jahrzehnte später wurde sie noch einmal überarbeitet, dann zu einem Libretto von Wolfgang Willaschek. Seitdem ist sie unter dem Titel „Weiße Rose“ im Repertoire vieler Musiktheater zu finden.
Aktuell zum Gedenken an die vor siebzig Jahren ermordeten Geschwister Sophie und Hans Scholl, die gemeinsam den Kommilitonen Christoph Probst, Willi Graf und Alexander Schmorell sowie dem Universitätsprofessor Kurt Huber zum engeren Kreis der Widerstandsgruppe gezählt werden, ist Zimmermanns Oper derzeit wieder im Spielplan mehrerer Bühnen zu finden. Nicht in Dresden, nicht in München – Residenzstädte tunt sich schwer mit solchem Gedenken.
Erst Ende Januar hatte die „Weiße Rose“ Premiere am Theater Detmold, wo Sebastian Gruner das Stück inszenierte. Wenig später kam es in Frankreich an den Opernhäusern von Angers und Nantes heraus, im Frühjahr werden das Theater Koblenz und wahrscheinlich auch die Wanderoper Brandenburg nachziehen. Alles in allem ist diese Kammeroper eines der am häufigsten inszenierten und aufgeführten Musiktheaterstücke der Gegenwart. Es sorgte an zahlreichen deutschsprachigen Bühnen sowie in London, New York, Paris und anderenorts für Aufsehen.
Eine beklemmende Sicht brachte Ende der 1980er Jahre die Leipziger Oper heraus, die mit dieser Inszenierung von Uwe Wand unter anderem in Jerusalem gastierte. In Dresden gab es zuletzt zu Zimmermanns 60. Geburtstag eine konzertante Aufführung in den unteren Räumen der Frauenkirche, übrigens in derselben Besetzung wie auf der CD-Aufnahme des musica-viva-ensembles. Seitdem Fehlanzeige in Sachsen.
Aber hier sollen die weißen Rosen, Kostenpunkt pro Kunststück zum Anstecken zwei Euro, ja auch nicht erinnern, zum Nachdenken anregen oder gar wachrütteln. Es ist ein Einlullen mit diesen weißen Rosen im Schnee. Ein Anzeigenblatt brachte es vor wenigen Tagen auf den Punkt: „Mit Mut, Respekt und Tolerenz [sic!] bekennen wir Farbe“ (Dresdner Amtsblatt vom 7.2.2013). Farbe bekennen mit weißen Rosen, na prima! Wie gründlich durchdacht dieser Aufruf der Oberbürgerin ist, zeigt deutlicher als der tolerable Schreibfehler die Formulierung, dass eine Frau namens Helma Orosz „alle Dresdner Bürgerinnen und Bürger zum Gedenken (…) der Dresdner Bombenangriffe“ einlädt. Die gab es also auch, Dresdner Bombenangriffe?!
Darüber wollen wir mal nachdenken, bis nächsten Freitag und vielleicht auch darüber hinaus –
Michael Ernst