Isolde. Als Erstgeborene Richard Wagners war sie anerkannt, lebte in der Familie und galt als das meistgeliebte Kind. So war es, bis der Vater 1883 starb. Dann aber kam es zu einem denkwürdigen Vaterschaftsprozess, der zu einer weltweit kommentierten Schlammschlacht geriet, „ob, wer, wann, mit wem“. Mutter Cosima schwor, Richard sei Isoldes Erzeuger nicht, und auf einmal war sie illegitim. Cosima war ja noch mit Hans von Bülow verheiratet gewesen, als der heißen Liaison mit dem 24 Jahre älteren Wagner auch die weiteren Kinder entsprangen, Eva und Siegfried. Erst 1870 geschieden, aber eiligst noch vor Rechtsgültigkeit der Scheidung Richard angetraut, hießen seine drei Kinder und »von Bülow« wie die damalige Ehe- und Familienrechtslage es vorsah. Gentests gab es noch nicht. Für die Wahnfried-Familie, in der Prinzipalin Cosima als die ‚Hohe Dame‘ des grünen Hügels dominierte, kam für Nachfolge und Bewahrung des künstlerischen Erbes nur eines in Frage: männlich und Wagner! Dafür wurde umgeschrieben, geschwärzt, gelinkt, mit Meineid besiegelt, dass die Erbfolge auf den alleinig für würdig befundenen Bruder beider Schwestern fiel. Siegfried, der Jüngste der drei Geschwister, war fortan Namensträger und Erbfolger.
Das schloss später auch Franz Wilhelm Beidler, Isoldes Sohn, von der Bayreuther Thronfolge aus, obwohl er, der 1901 geborene, mit Abstand erster Enkel Richard Wagners war. Isolde hatte sich in Bayreuth mit dem Kapellmeister Franz Philipp Beidler vermählt, der anfangs durchaus wagneraffin, dann aber mit Isoldes Enterbung durch die Mutter und Ausgrenzung von der Familie, gegen den Clan opponierte. Mit einer frühen Aufführung des Weihefestspiels „Parsifal“ am Liceo Barcelona in der Neujahrsnacht 1913/14, die er dirigierte, verstieß Franz Philipp Beidler wissentlich gegen den Kodex von Bayreuth.
Die Musikwissenschaftlerin Verena Naegele und die Musikpublizistin Sibylle Ehrismann haben sich der Erforschung dieser zweiten Wagner-Nachkommenslinie angenommen (Eva, das dritte Kind Richard Wagners, war kinderlos geblieben). Aus Registern und Archiven, Prozessakten, von familiären Originalquellen, Tagebüchern und aus „den sehr zugeknöpften“ Tresoren Bayreuths gruben sie Vieles aus und stießen auf bisher Unbekanntes, Kurioses. Vor allem aber Erhellendes über die Art und Weise, wie von den beiden Familienlinien, die auf Richard Wagner zurückgehen, eine hochgehoben und die andere weggedrückt wurde. Erst nach und nach wurde der Name Beidler mit der Familie Wagner in Verbindung gebracht. Auch dem Autor dieses Textes war der Familien-Krimi Beidler–Wagner unbekannt. Also, Aufklärung:
Enkel Franz Wilhelm Beidler studierte Jura in Berlin, engagierte sich in sozialistischen Kreisen. Wohl als Erblast des Großvaters, den der Enkel als 1848er Revolutionär verehrte. Franz heiratete eine Jüdin, als der Bayreuther Clan bereits in den frühen 20er Jahren auf Tuchfühlung zum Nationalsozialismus ging. 1934 musste er mit Frau Ellen Deutschland verlassen und kam über Paris in die Schweiz. Er vollzog damit denselben Fluchtweg wie der Großvater. Dort reüssierte er zum hochgeachteten Sekretär des Schweizer Schriftstellerverbandes, was ihm die Freundschaft Gerhart Hauptmanns einbrachte. Nach Kriegsende wurde Franz Beidler, als einziger der Familie politisch unbelastet, nach Bayreuth gerufen, um ein Konzept für die Zukunft Wagner-Bayreuths auszuarbeiten. Der kompetente Jurist schlug vor: Wahnfried in eine Stiftung wandeln, die die Aufführungsrechte haben sollte. Doch die Stehkraft der hohen Familie war stärker, zumal ihre Unterstützer, von brauner zu anderer Couleur gewendet, in Bayern weitgehend an der Macht geblieben waren. Ehrismann und Naegele beschreiben in ‚Die Beidlers‘ eine Familiengeschichte, deren Sex-Lug-Trug-Schein-Sein Richard Wagners Dramen an Spannung noch übertrifft. Sie kuratierten eine Ausstellung, die im 200. Geburtsjahr Wagners in Zürich und zur 100. Jährung des Beidler-Prozesses im Bayreuther Wagner-Museum ausgestellt war.
Die Aufwertung der Wagnerstätten Graupa durch das neue, multimediale Wagner-Museum im restaurierten Jagdschloss Graupa schossen den Ort in den letzten Jahren auf die Höhe anderer großer Wagner-Gedenkstätten. Bei seinem Besuch im Bayreuther Richard-Wagner-Museum sah Pirnas Oberbürgermeister Klaus-Peter Hanke die Franz Beidler Ausstellung. „Ein Muss für Graupa!“ war die Reaktion. Jetzt ist sie als Sonderausstellung in Sachsen präsent. Sie passt auch zur Konzeption, die Stätte Graupa auch als musikhistorischen Forschungsstandort zu entwickeln. Dafür stehen zwei Stipendiatenplätze zur Verfügung. So war mit der vorhergehenden Sonderausstellung ‚Richard und Minna‘ bereits ein guter Griff getan. Nachfolgend wird für 2015 an ‚Nietzsche und Wagner‘ gearbeitet. Für 2015 hat man sich vorgenommen, das museumspädagogische Angebot für Schulen und junge Menschen auszubauen, gab in seiner Jahresrück und –vorschau Christian Schmidt-Doll bekannt. Nach dem Führungswechsel hat die Kultur- und Tourismusgesellschaft Pirna mbH, in deren Zuständigkeit die Wagner-Stätten-Graupa stehen, mit Schmidt-Doll einen neuen Chef gefunden. Auf der Woge des Wagnerjahres 2013 hatten über 25.000 Besucher von Dresden über Pillnitz hinaus zu den beiden Häusern in Graupa gefunden. Wieder in der Normalität angekommen, werden es dieses Jahr etwa 12.000 sein. Über 1.500 Besucher nahmen an Führungen durch die beiden Häuser teil.
Die wissenschaftlichen Betreuer Katja Pinzer-Hennig und Christian Mühne mit ihrem Team freut es, wenn sie Wissen weitergeben können. Und die Richard-Wagner-Stätten-Graupa ehrt es, dass zur Vernissage der aktuellen Ausstellung ein echt wagnerblütiger Besuch gekommen ist: Urenkelin Dagny war hocherfreut zu sehen, „was hier alles über Wagner entstanden ist“.
„Aufrecht und konsequent – Wagners Schweizer Enkel und Bayreuth“, Ein Lebensbild von Franz Wilhelm Beidler, Ausstellung im Jagdschloss Graupa und Lohengrinhaus, bis 1. März 2015 „Die Beidlers – Im Schatten des Wagner-Clans“ Verena Naegele, Sibylle Ehrismann, Rüffer & Rub Verlag, Zürich 2013