Wieder war es Ingolf Huhn, dem Intendanten des Eduard-Winterstein-Theaters Annaberg-Buchholz, gelungen, das überregionale Feuilleton von Berlin bis MDR – allein aus Dresden waren vier Rezensenten angereist – an sein kleines Theater in erzgebirgische Höhen zu ziehen. Ausgrabungen von Lortzing, ja sogar einer Uraufführung wegen, in einer Doppelpremiere? Da musste man hin!
Ingolf Huhn, außerdem Gründer und Präsident der Albert-Lortzing-Gesellschaft, ist zu danken, dass er selten Gespieltes und Vergessenes auf die Bühne holt. Als Regisseur bemüht er sich um Fassungen, die heute spielbar sind. Das gilt in besonderem Maße für das zweite Singspiel des Doppelpacks am Premierenabend im Dezember, Lortzings einaktiger »Andreas Hofer«, der noch nie in der Originalfassung aufgeführt worden ist. Lortzing hat in seiner Detmolder Theaterzeit zu komponieren begonnen. In kurzer Folge schuf er für sein Theater Singspiele – Vaudevilles, die beliebte Arien und Melodien in neue Handlungen einbauten. Vier dieser Liederspiele entstanden 1832, darunter auch der »Der Weihnachtsabend« und »Andreas Hofer«. Von den zehn Musiknummern des Hofer-Spiels sind immerhin fünf eigene Kompositionen, auch die Ouvertüren beider Spiele.
Lortzings »Der Weihnachtsabend« passt bestens in die lichtelnde Erzgebirgszeit und ist so publikumswirksam, dass er mit drei Sondervorstellungen nachmittags schon Touristen und Marktbesucher ins Theater zog. 2001 schon hatte Huhn das Lortzingsche Singspiel als Erstaufführung neuer Zeit nach 1900 auf die Bühne gebracht – damals im Mittelsächsischen Theater Freiberg/Döbeln – und jetzt wieder in Annaberg-Buchholz; eine Geschichte von Familienwirrungen mit gutem Ende an einem 24. Dezember, bei der die Liebschaft einer Stieftochter die dramaturgische Linie bestimmt. Die Szenerie des Ausstatters Tilo Staudte, eine fast schon abstrakt große Biedermeier-Stube, füllte die Sicht durchs große Portal. Ein überdimensionales Fenster bot für die Außenszenen auch die Spielrampe für Kasperliaden, die am Premierenabend die meisten Lacher erzielten – und langanhaltenden Schlussapplaus.
Weniger zum Lachen ist der »Andreas Hofer«. Das bekannte tragische Ende des Helden „zu Mantua in Banden … zum Tode führt ihn der Feinde Schar“ wird von Lortzing umschifft. Er bricht die Hofer-Geschichte noch vor der verlorenen letzten Bergisel-Schlacht der Tiroler gegen die versammelten Bayern und Franzosen ab. Die ausgedehnte Ouvertüre zählt zu Lortzings besten Orchesterstücken. Mit ansteigender Dynamik wirbelt zum Schluss so etwas wie Aufruhr, ein Signal zur Exekution. Im Stück selbst konnte Lortzing diese nicht bringen; es galt, die Zensur zu vermeiden. Aber es half nichts: Das Singspiel fiel gleich nach seiner „Anzeige für Bühnen-Directionen“ unter das Verbot. Danach wurde es vergessen, sodass der Lortzing-Spezialist Huhn nun die Chance zu seiner 182 Jahre späten Uraufführung in Annaberg-Buchholz bekam.
Die Kulissen sind hier in die andere Richtung gerückt, Alpengipfel kniehoch im übergroßen Biedermeier-Raum vom vorhergegangenen Stück. Der Hofer selbst kommt recht krachledern daher, in doppeltem Sinn der Personenbewegung, mit Tische Auf-Abbau zum Feiern und Tiroler-Kostümierung, wie die ‚Manner‘ halt so sind. Mannhaft – Hofer wusste vom Verrat – stimmen sie sich auf die entscheidende Auseinandersetzung um ihr „Tyrol“ ein. Nahezu das ganze Ensemble mit Chor ist bei dem Lied „Gott erhalte Franz den Kaiser“ versammelt – auf Haydns Melodie, zu der wir heute „Einigkeit und Recht und Freiheit“ singen.
Nach einer Einführungs-Matinee im November hatte das Doppelpack, »Der Weihnachtsabend – Andreas Hofer« einschließlich der ausverkauften Premiere im Dezember sieben gut besuchte Vorstellungen gehabt – für eine Stadt mit nur 21.000 Einwohnern beachtlich. »Der Weihnachtsabend« bleibt im Repertoire für die nächste Saison. »Andreas Hofer« ist zunächst abgespielt.