Eine gewichtige Oper fand eine vielbeachtete Premiere in Dresden. Buhrufe blieben nicht aus, allgemein aber wurde die Inszenierung des fünfstündigen Ablaufs gefeiert. Hector Berlioz legte hier seine Grand opéra vor, ein Werk also, dass die Tradition der heroischen französischen Oper aufnahm. Fünf Akte musste sie umfassen und Platz für große Szenen mit Chor bieten. Auber legte mit der »Stummen von Portici«, Meyerbeer mit den »Hugenotten« solche Muster vor.
Die Semperoper sucht nun mit »Les Troyens« (Die Trojaner) einen eigenen Zugang zu dieser Tradition. Lydia Steier nahm sich mit dem Bühnenbildner Stefan Heyne der großen Aufgabe an. Mit viel Einfallsvermögen und einem offensichtlich bereitwilligen und von Jörn Hinnerk Andresen bestens vorbereiteten Chor, der in diesem Jahr sein 200jähriges Bestehen feiert, gelang die Umsetzung jener Geschichte der Trojaner, die ihren vermeintlichen Sieg begehen und das hölzerne Pferd, das die Griechen zurückließen, in die Stadt holen – und damit die darin versteckten griechischen Kämpfer. Kassandra, die trojanische Seherin, warnt und sagt das Ende voraus. Ihre Mahnungen werden nicht ernst genommen. So gelingt der Überfall. Mit lebendigen und spannungsvollen Chorszenen werden die Geschehnisse nachgezeichnet, die des Siegesjubels anfangs und die der Schrecken am Ende. Kassandra bleibt nur, um die Ehre der Trojerinnen zu retten, die Aufforderung zum gemeinsamen Suizid. Großartige Szenen ergeben sich. Jennifer Holloway gibt dieser Figur beeindruckend Profil. Ihren Verlobten Chorébe (Christoph Pohl) kann sie nicht überzeugen. Nur Aeneas (hier Enée genannt) kann, gewarnt vom Geist des gefallenen Helden Hector, fliehen, hat den göttlichen Auftrag, mit den überlebenden Trojanern nach Italien zu gehen und dort den Grund für das römische Imperium zu legen.
Der hier bearbeitete Stoff stammt aus dem Epos »Aeneis« des Römers Vergil und wurde vom Komponisten unter Nutzung von Shakespeares »Kaufmann von Venedig« in ein Libretto gefasst. Berlioz entwickelte 1856 bis 1859 eine Klangsprache, die die vielfältigen Möglichkeiten des großen Orchesters verwendet. John Fiore, der das selten aufgeführte Werk schon in Sidney dirigiert hat, ließ mit der Staatskapelle die Vielfalt der Orchesterfarben beeindruckend aufleuchten, die von der Szene gefordert wurden.
Da eine erste vollständige Aufführung erst 1898 stattfand, konnte der 1869 verstorbene Komponist sein Gesamtwerk nicht erleben. Nur den 2. Teil »Die Trojaner in Carthago« organisierte er 1863 in Paris. Diese Geschichte von Dido und Aeneas ist schon vor ihm vielfach vertont wurden. Zuerst von Cavalli in Venedig 1641. Am bekanntesten ist die von Purcell 1689 in London realisierte.
Und so steht sie auch hier in Dresden im 3. bis 5. Akt auf der Szene, in der der Trojaner Aeneas auf seiner Flucht an die Küste Karthagos gespült wird. Die Königin des Landes Dido (hier in der französischen Form Didon genannt) nimmt ihn mit seinen Kriegern auf, die auch gleich gegen Feinde der Königin helfen können. So breiten sie sich im Lande aus, fühlen sich sichtlich wohl. Hier hat die Regisseurin nur wenige Einfälle bei der Gestaltung, bleibt in den selbstgefälligen Verfolgungen der Trojaner befangen. Deshalb macht sich szenisch Langweile breit (daran änderst auch ein amüsanter Kurzauftritt von Artisten nicht viel). Nur die Liebesgeschichte von Dido und Aeneas bringt etwas Farbe durch die Darstellung und vorzügliche stimmliche Gestaltung von Christa Mayer und Bryan Register in die Szene. Als Aeneas von Geistern der Vergangenheit (Kassandra, Chorébe und Hector) zur Weiterfahrt nach Italien gedrängt wird, muss er Dido verlassen, die das nicht verwinden kann. Sie schwört Rache mit einem Zukunftsbild, das Aeneas in Rom erwartet. Auf ihrem Sarkophag ersticht sie sich. Christa Mayer hat hier und damit auch die Oper ihren Höhepunkt. Großartige Gestaltungskraft strahlt sie stimmlich und darstellerisch aus und gibt den Schlussszenen Profil.
Allerdings hinterlässt die wenig spannungsvolle Regiearbeit dieser 2. Oper des Abends keinen packenden Charakter. Dem Regieteam schlugen folglich ungewöhnlich stürmische Buhrufe entgegen. Das war insofern ungerecht, da der Regisseurin der erste Teil vorzüglich gelungen war. Überhaupt zeigte sich, dass der zweigeteilte Aufführung durchaus getrennt an zwei Abenden ablaufen kann; die Verbindung ist nur sehr lose. Eine interessante Aufführung auf alle Fälle, obwohl natürlich nach wie vor die »Fantastische Symphonie« des jungen Meisters das Highlight des französischen Komponisten ist und bleibt.