Dresdner Künstlerkollektiv Egobar brachte mit prominenten Gästen „Ajax zum Beispiel“ von Heiner Müller als CD heraus
Wie kann eine Revolution ein Unglück sein? Diese genauso aktuelle wie hintersinnige Frage stellte Heiner Müller in seinem Text „Ajax zum Beispiel“, der erstmals im Oktober 1994 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung abgedruckt worden war. Heute wirkt diese Frage wie ein letztes Greifen der Hand eines Ertrinkenden nach einem Halte-Ast am rettenden Ufer, bevor sich der Sich-Aufbäumende vom überwältigenden Strom mitreißen lassen muss. Muss er?
Beschrieben wird mit „Ajax zum Beispiel“ – einem Ineinanderverwobensein von fragmentarisch wirkenden Textteilen – der Zustand einer Gegenwart, die ein auf positive Utopien ausgerichtetes Tätigsein unmöglich macht. Deskriptorisch gesehen handelt der Text von griechischer Mythologie, von finanziellen Kürzungen im Kulturbereich seit dem Anschluss des einen an das andere Deutschland, von kommunistischen Widerstandskämpfern im Dritten Reich und von Opfern des Stalinismus in der Frühphase der DDR, von Hitler und Stalin im Zweiten Weltkrieg. Müller schöpft hier aus dem reichen Fundus seiner Lektüreerfahrung – so finden sich unter anderem Verweise auf Homer, Aischylos, Sophokles, die Bibel, Goethe, Kleist und Brecht.
Es muss wohl nicht nur am geografischen Bezug liegen, wenn die aus Müllers Geburtsort Eppendorf stammende und in Dresden wirkende Künstlergruppe „Egobar“ an ein spezielles Heiner-Müller-Projekt ging und aus „Ajax zum Beispiel“ ein Wort-Musik-Hörstück gestaltete, das nun vor kurzem als speziell ausgestattete CD erschienen ist. Das CD-Projekt geschaffen haben die Mannen um Andy Weinhold gemeinsam mit illustren Persönlichkeiten, die Gelesenes und Getrommeltes beisteuerten – als da waren: Gregor Gysi, Sibylle Berg, Joachim Witt, Blixa Bargeld und Günther „Baby“ Sommer. Sie alle haben offenbar eine Leidenschaft für die Texte Heiner Müllers, hatten aber auch noch andere Berührungspunkte mit dem Meister des scharfsinnigen Denk-Theaters – vorrangig wohl das Vergnügen an solch wichtigen Gegenfragen wie eben die eingangs gestellte. Indem sie also Müllers „Ajax zum Beispiel“ aufnahmen, ehrten sie den sächsischen Dichter von Weltrang. Und nebenbei plaudern sie über ihre Begegnungen mit ihm. Gregor Gysi hat Müller in Mietfragen anwaltlich beraten, Sibylle Berg kann ihn sich ohne Whiskey nicht vorstellen und die Herren von „Egobar“ sagen, sie mussten die CD einfach machen, um das Erbe ihrer Herkunft aus Eppendorf künstlerisch abzuarbeiten.
Fast zwei Jahre hat die Arbeit an der musikalisch-literarischen Ajax-CD gedauert, endlich ist sie erschienen – in einer auf 500 Stück limitierten Sammleredition, die zusätzlich eine 40-seitige Broschur „Lenindada“ (hätte hier Willy Wolff seine Freude daran?) inklusive dem Müller-Text „Ajax zum Beispiel“ beinhaltet, verpackt in – wie könnte es anders sein? – einer handgefertigten Zigarrenkiste mit Brandprägung.
Musikalisch wird „Ajax zum Beispiel“ bestimmt von elektronischen Soundflächen, die mit verschiedenen, sich wandelnden Gitarren-Riffs oder auch (teils elektro-) perkussiven Mustern rhythmisch strukturiert werden. Dieser Fluss an teils rockig, teils avant-poppig wirkenden Soundflächen fungiert wie eine begleitende, dienende Klangbasis für die sinnorientiert deklamierten Textpassagen. Dieses mal träge, mal treibende Fließen ermöglicht es dem Hörer, in immer neuen Hör-Durchläufen immer neue inhaltliche Finessen zu entdecken. Auf diese Weise ist die Tiefe, über die der Text „Ajax zum Beispiel“ verfügt, nachspür- und wahrnehmbar. „Es galt, etwas Neues zu schaffen! Kein Hörspiel und keinen Song“, beschrieben die Musiker-Künstler von „Egobar“ auf ihrer Internetseite ihre mit „Ajax zum Beispiel“ verknüpften Ambitionen. Nun, angesichts solcher Hörstücke wie das aus dem Jahre 1981 stammende „Apfelböck oder die Lilie auf dem Felde“ von Heiner Goebbels (auch einem Heiner-Müller-Vertrauten) darf die Neuartigkeit des „Ajax zum Beispiel“-Projektes bezweifelt werden. Eine klingende Aufforderung zum Nach-Denken ist es, weder Hörspiel noch Song, allemal geworden. Für wen könnte eine Revolution ein Unglück sein?
Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in: Dresdner Neueste Nachrichten, Ausgabe vom 3. Januar 2008. Ich danke dem Verlag für die freundliche Nachdruckgenehmigung.