Leipziger Streichquartett
„Jedes seiner Quartette ist ein eigenes Universum“, so drückte es der Primarius des Borodin-Quartetts ehrfurchtsvoll aus. Vom Rebellentum der frühen Werke bis zur Weltentrücktheit des letzten: die Streichquartette Ludwig van Beethovens sind
Gradus ad Parnassum, Stufen zum göttlichen Musenhain, und weisen eine enorme stilistische Bandbreite auf. Ein klassischer Kammermusikabend ohne wenigstens ein Beethoven-Quartett? Schwer vorstellbar.
Auch die Dresdner Konzertreihe „Meisterwerke-Meisterinterpreten“ startete 1954 mit dem allerersten Beethoven-Quartett. Vollständig wurden die Werke im Rahmen der „Meisterwerke“-Reihe das letzte Mal in den siebziger Jahren durch das Ulbrich-Quartett aufgeführt, erinnert sich der heutige Organisator der Konzertreihe, Andreas Priebst, der dem Quartett als Cellist angehörte. Gemeinsam mit den Gründern der „Strehlener Kammermusik“-Reihe, Christian und Friedemann Ludwig, plante er das Beethoven-Fest mit drei Konzerten, über ein Wochenende verteilt. Tatsächlich ließen es sich die meisten Besucher nicht nehmen, die Trias vollständig zu genießen und auf diese Weise einmal ganz verschiedene Interpretationsansätze zu vergleichen.
Der große Erfolg der Unternehmung ermutigt jedenfalls zur Fortsetzung, ja zum Abschluss eines neuen Dresdner Beethoven-Zyklus’, darin waren sich Veranstalter und Publikum am Ende einig. Der nicht zuletzt vom Hotel »Königshof« erhoffte Touristenstrom blieb zwar dieses Mal eher aus (hier wäre veranstalterseitig noch Spielraum, beispielsweise mit mehr überregionaler Werbung, überlegte Friedemann Ludwig am Sonntag); dennoch waren die drei Konzerte nahezu ausverkauft. Das große organisatorische Wagnis, das die beiden in Strehlen etablierten Konzertreihen gemeinsam schulterten, glückte damit trotz Absage des Petersen-Quartetts, dessen Bratschist Friedemann Weigle 2007 zum Artemis-Quartett wechselte.
Artis-Quartett, Wien
Eingesprungen war das Wiener Artis-Quartett. Mit dem späten Quartett op. 130 war dem Ensemble, das sich vor allem mit Werken des ausgehenden neunzehnten und des zwanzigsten Jahrhunderts beschäftigt, indes Literatur zugeteilt, die mithin zum schwierigsten gehört, was die gegenseitige Abstimmung von Artikulation und Vibrato betrifft. Warum das Quartett sich schon vor einiger Zeit entschieden hat, seine Konzerte grundsätzlich im Stehen zu geben, war zu erahnen; eine erhöhte Körperspannung, vielleicht auch größere Freiheitsgrade der Bewegung mögen der Pflege zeitgenössischer Musik förderlich sein. Indes scheint sich das intime gemeinsame Musizieren so eher in Richtung eines solistischen Konzertierens zu verwandeln. Schon Leopold Mozart bezeichnete im übrigen den von den Musikern gebrauchten Bogengriff, bei dem der Bogen etwas mittiger und zeitweilig nur von drei Fingern gehalten wird, als falsch: ein „männlicher Ton“ könne so nicht erzeugt werden. Das Presto des „Harfenquartetts“ op. 74, besonders aber die „Große Fuge“ op. 133 geriet den Wienern teilweise etwas aus den Fugen und endete schließlich in allzu geräuschhaftem Tonbrüten, ohne dass die dringliche Zweckgerichtetheit der monumentalen Komposition deutlich wurde.
Der unbedingte, kompromisslose Ausdruckswille ging auch den Musikern des Leipziger Streichquartetts und des Kölner Auryn-Quartetts deutlich vor die absolute technische Perfektion. Wo die Leipziger das Fest mit mächtigen Strichen eröffneten (op. 18/6), im späten Quartett op. 135 die Klänge blitzen und funkeln ließen und endlich die ruppige Fuge des op. 59/3 am oberen Ende der technischen Machbarkeit ansetzten, gefiel das Auryn-Quartett vor allem mit einer wunderbaren Farbigkeit, die die beiden Quartette op. 95 und op. 59/2 durchdrang.
Auryn-Quartett, Köln (Foto: M. Esser)
Erstaunlich, dass nicht mehr Musikstudenten die Chance nutzten, sich mit den Spitzenensembles, deren Mitglieder ja neben ihrer Konzertkarriere zumeist selbst an einer Hochschule unterrichten, bei den Foyer-Gesprächen auszutauschen. Spätestens in zwei Jahren, da das Beethoven-Fest (so die vorsichtige Planung der Veranstalter) seine Fortsetzung findet, sollte es sich bis ins Zentrum herumgesprochen haben, welche beglückenden Konzerterlebnisse der Strehlener Ballsaal mit seiner wirklich fantastischen Akustik immer wieder zeitigt.
Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in: Dresdner Neueste Nachrichten, Ausgabe vom 29. Januar 2008. Ich danke dem Verlag für die freundliche Nachdruckgenehmigung.