Stilistisch unscharf blieb die sehr dick besetzte Gruppe “SAKRA!” (Foto: M.M.)
„WM>08 : Please, don’t wash separately!“ lautet der Titel einer neuen Veranstaltungsreihe im Hellerauer Festspielhaus. Sechs Stipendiatinnen des Programms „Kulturmanager aus Mittel- und Osteuropa“
der Robert Bosch Stiftung haben sie in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Zentrum der Künste Hellerau entwickelt und am Mittwochabend vorgestellt. Die Auftaktveranstaltung war in zwei Teile geteilt: vor der Pause mit Live-Musik untermalte Animationsfilme des Serben Miloš Tomic, gefolgt von Elektro-Rock der Gruppe „Dick4Dick“.Von März bis Oktober 2008 werden nun noch an drei weiteren Tagen Veranstaltungen stattfinden und so auf das Motto der diesjährigen Dresdner Tage der zeitgenössischen Musik, „Musik und Film“, hinführen.
Die sechs Kurzfilme des saxofonspielenden Radiomoderators bildeten das Lebensgefühl Osteuropas in nuce ab, inklusive der altbekannten Klischees und ein paar fast liebenswerten Pseudo-Provokationen, etwa einem kleinen Tänzchen mit einem Stückchen Hundescheiße. Antiquarisch kostümierter Clochard träumt von Frauenbeinen – solche Topoi erinnern vielleicht zuerst an Jan Saudek; dessen erotische Bildmärchen im historisierenden Sujet sind nun schon fast fünfzig Jahre alt. Aber wo die einengende Diktatur gestürzt ist, verliert die künstlerische Avantgarde ihre allerletzten Reibungsflächen. So war in den Filmen wohl eine technische Entwicklung nachzuvollziehen – vom farbstichigen, unterbelichteten Home-Video (1999), das den offenbar leicht bewusstseinserweiterten Protagonisten bei der Elvis-Presley-Nummer strippend unter der Dusche zeigte, bis zum witzigen Musikclip „Partisan“ (2007), der so oder ähnlich problemlos auf einem kommerziellen Musikkanal laufen würde. Einen leidigen Unterrock-Fetisch des Regisseurs eingerechnet, kreisten die Filme in L’art-pour-l’art-Manier unverändert um dieselben Themen: Ausweglosigkeit, Tagträumerei, unerfüllte Liebe. Dicke Babuschkas im Burda-Schnitt, kolonialistisch verfallene Sujets, lustige Trickfilme mit wandernden Haaren und Bärten – diese Inszenierung einer ewiggestrigen, etwas vertrottelten Weltabgewandtheit haben nicht zuletzt Osteuropäer allmählich ein bisschen über. In Hellerau vermochten sie dem jungen Publikum an diesem Abend nur den allerhöflichsten Applaus zu entlocken. Die folgende Musikeinlage der mit finnischen, tschechischen, armenischen und deutschen Saxofonisten, Geigern und Rhythmusinstrumenten überreich besetzten Band „SAKRA!“ kam stilistisch nur mühsam in die Gänge und lebte vor allem von farbigen Videountermalungen.
Was bleibt also, wenn alle Grenzen gefallen und alle Tabus gebrochen sind, ergo nichts mehr zu tun ist? „Dick4Dick“ machte es nach der Pause vor. „Die polnische Elektro-Rock-Gruppe ist ordinär, schweinisch, provokant und zieht alles ins Lächerliche“, lockte der Programmtext. Neben den videoseitig von kopulierenden Paaren und apathischen Karpfen begleiteten Songs „Dick in mouth“ und „I take pornographic pictures“, bei denen der Keyboarder sich anschickte, sich mit einer kleinen Kamera zu filmen und die Wackelbilder dem Publikum live zugänglich zu machen, war die Provokation vor allem die immense Lautstärke. Müde, ganz müde machten wir uns auf den Heimweg, um dem drohenden Hörsturz vorzubeugen. Die Frau am Einlass grüßte still.
Martin Morgenstern
(Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in: Dresdner Neueste Nachrichten, Ausgabe vom 26.2.2008. Ich danke dem Verlag für die freundliche Nachdruckgenehmigung.)
Nächster Veranstaltungstermin:
WM>08 : Please, don’t wash separately! (II)
20. März 2008, 20 Uhr
Seitenbühne Ost des Festspielhauses Hellerau
• „Dancing worm“, Kurzfilm von Ignas Jonyas (Litauen)
• „Retrospektive Maya Deren“, Live-Film-Musik-Performance von Luka Princic (Slowenien)
• „Video Poems“ von Eva Pervolovici (Rumänien)