compagnie drift (CH) – »au bleu cochon«
„Wir haben trotzdem noch Lust…“, so D.G.J. Skowronek, Initiator und Direktor der Internationalen Tanzwoche. Sein „trotzdem“ bezieht sich auf den wiederkehrenden Kampf um Mittel und Möglichkeiten ebenso wie
auf die ungebrochene Lust der treuen und neuen Partnerinnen und Partner, der Tanzlust zu frönen, indem sie fabulieren, produzieren und präsentieren, was sie zum Thema Tanz und Lust und Leben bewegt.
Vom Theater auf den Schulhof
Es geht schon los, bevor es los geht, nämlich auf Dresdner Schulhöfen. Joy Alpuerto Ritter und Timo Draheim von der Leipziger tanz-scene sind so jung, dass man sie kaum erkennen wird unter den Jugendlichen in den Hofpausen des Dreikönigsgymnasiums, am 17., und des Gymnasiums in Cotta, am 18. April. Wenn sie sich aber bewegen, wenn der Beat sie tanzen lässt, dann könnte es in der Schule wie im Kino sein. Die ersten nehmen den Rhythmus auf, sie machen mit, oder sehen zu. Break Dance, Hip Hop und ein bisschen Klassik auch, und die so tanzen, sich so was trauen, sind ganz und gar nicht anders als die Schüler.
Sprünge über alle Grenzen
„ZeitSprünge“ heißt die Eröffnungsvorstellung im Theater Junge Generation. Diese getanzten Zeitsprünge gehen über einen Zeitraum von gut 60 Jahren.
Die Leipziger Choreografin Heike Hennig konnte für ihr inzwischen weithin gefeiertes und vom Bundespräsidenten anerkanntes Projekt 80jährige und 20jährige Tänzerinnen und Tänzer zusammenführen. Die Hoffnungen der Jungen spiegeln sich in den Erinnerungen der Alten. Der Austausch von Energien und Ideen, das Besondere dieser einzigartigen Produktion ließ bisher niemanden, der dabei war, unberührt.
Weil sie wortlos ist, ist die Sprache der Tanzkunst grenzenlos. Die Gastspiele der 17.Tanzwoche kommen aus Israel, Südkorea, aus der Schweiz und Tschechien. Unter den Mitwirkenden in den Companien aus Deutschland sind zudem etliche Nationalitäten vertreten.
Was wäre die internationale Tanzszene ohne die Impulse aus Israel. Maya Levy aus Jerusalem stellt mit ihrer Company „Solar Plexus“ vor.
Vier Erwachsene im Kampf um das individuelle Recht auf Andersartigkeit. Es geht im Tanztheater der Maya Levy, das die Körper ihrer Protagonisten an den Rand des Möglichen führt, immer auch um Schuld und Mitgefühl, Unterwerfung und Selbstwert.
YeonA Yu, aus Südkorea hat an der Palucca Schule studiert, jetzt kommt sie aus ihrer Heimat nach Dresden mit ihrer Arbeit „zwei_minD“, die sie zusammen mit ihrem Landsmann Eui Huyun Seul tanzt, und die vom Ursprung einer Geschichte erzählt, die so alt ist wie die Menschheit.
Hungriger Tanz aus Zürich, leiser Humor aus Prag
Es ist ein absurder Tanz, der einen unbändigen Hunger hat, und in dem es nicht viel braucht, bis jemand zur Schnecke gemacht und die Sau heraus gelassen wird. In „au bleu cochon“ der Schweizer Compagnie „drift“ sehen wir Menschentiere, denen ihre hybriden Eigenschaften auf Revers geschrieben sind.
In „Errorism“ der Prager Gruppe „KREPSKO“ geht es um eine verdrehte Cinderella-Geschichte auf dem dünnen Eis der Beziehungen. Der Humor aus Prag ist leise, die Grundierung ist melancholisch und die alles entscheidende Frage lautet: Reicht etwa ein Kuss, um bis ans Lebensende glücklich zu sein?
Spielarten der Liebe, Facetten des Lebens, die Sprache der Körper
Inspiriert von William Shakespeares Sonette ist die aktuelle Choreografie der deutsch-italienischen Gruppe movingtheatre.de aus Köln. „Fair Friends“ erzählt von den Spielarten der Liebe und den Facetten der Erotik, von Leben und Tod. Ungewöhnlich, verblüffend, dabei ganz und gar nicht ohne Humor, dürfte die Arbeit des Hamburger Performancekünstlers Andree Wenzel sein, die er gemeinsam mit Britta Wirthmüller vorstellt. Beide begeben sich in „De-Form-ance“ und „Watch out“ auf Exkurse über die Mehrdeutigkeit des Körpers. Sie erkunden Konstruktion von Bedrohungen, die der Durchsetzung von Sicherheitsmaßnahmen dienen.
Feiern, Märchen, Zukunft, Therapie und Helden in Haft
Allen Grund zum Feiern hat die Die Dresdner Company „Caliente!“. Seit zehn Jahren widmet sie sich dem Flamenco, und in der Jubiläumspremiere zur Tanzwoche zelebriert die Gruppe das Leben als pulsierende Fiesta. Klar, dass beim Thema „Tanzlust“ der Flamenco noch einmal vertreten ist, nämlich im Tanztheater der in Dresden lebenden Bolivianerin Cynthia Gonzales, „Suenos del Sur“ heißt ihr neues Programm.
Über Dresden hinaus gut bekannt ist die „shot AG“. Die neue Produktion „Cinderella 08“ ist ein gedanklicher Streifzug durch Aschenputtels Träume, eine Auseinandersetzung mit dem „Cinderella-Komplex“ in Analogien zum Märchen und zum klassischen Ballett. Die „carrot dancers“ um die Tänzerin und Choreografin Nicole Meier führen uns in das Jahr „Zukunft“ und stellen in „moonboots dance“ die Frage, ob die Erde noch zu retten, oder das Leben auf dem Mond eine Alternative ist. „Das Lazarusprinzip“, eine Tanztherapie für vier Menschen und dreizehn Sprossen aus Birkenholz, ist die neue Arbeit von Julia Nesterova mit „Traumtanz“. Bereits im letzten Jahr machte diese Choreografin durch eine ungewöhnliche, fabulierende Inszenierung aus dem Geist des absurden Theaters auf sich aufmerksam machte. Zusammen mit Jelena Ivanovic aus Essen und Martin Dvorak aus Prag gehört sie zu den drei Choreografen, die ins „6-Tage-Rennen“ geschickt wurden. In Essen, Prag oder Dresden hatten sie je sechs Tage Zeit eine Choreografie zu erarbeiten. Das Thema, „Helden Haft“, erfuhren sie zwei Tage vor Arbeitsbeginn. In Dresden haben die Ergebnisse, die auch nach Prag und Essen gehen, Weltpremiere. Heldenhaft auch, bei Wind und Wetter, zum 13. Mal, der Tänzer Udo Zickwolf und der Musiker Oliver Augst mit ihrer Outdoor Performance „Trajekt“ in der Dresdner Altstadt, am Fürstenzug.
Tanzlust ist an keinen Ort gebunden. An sieben Orten, in 40 Veranstaltungen, können Sie sich davon überzeugen.
26. April: Revolte im TJG! Erst zusehen, dann mitmachen.
Sie kommen aus europäischen Städten und finden sich in Potsdam, der Company „OXYMORON“ zusammen. Sie sind sieben sehr junge Tänzerinnen und Tänzer mit dem Anspruch das, was sie und andere in ihrem Alter bewegt, bewegend auf die Bühne zu bringen. Das gelingt ihnen vorzüglich. Der Tanz, die Tanzlust und die Fragen aller jungen Menschen danach, was den Mann zum Mann und die Frau zur Frau macht, gehören für sie zusammen. „Revolte“ heißt ihr Stück in der Regie von Anja Kozik, in dem sie sich voller Bewegung daran machen, auf amüsante Weise ihre allgemeinen Bedürfnisse zu klären. Wenn dann Venus auf Mars trifft beginnt der Tanz ohne Ende, suchen, lieben, streiten, verlieren und finden, im turbulenten Durcheinander, in dem es zu bestehen gilt.
So unterschiedlich wie die Menschen sind die Arten, Stile und Techniken des Tanzes, die sie präsentieren.
„OXYMORON“ aus Potsdam ist in Dresden nicht unbekannt, aber auch andernorts schätzt man die Company, der die Presse bescheinigt, ihre Produktionen seien „ein Bewegungsfeuerwerk mit oft überraschenden Momenten von hoher ästhetischer Qualität.“
Und noch ein Grund, gleich welchen Alters, am 26. April den Weg ins Theater Junge Generation nicht zu scheuen. Man kann im Anschluss an die Aufführung „Revolte“ bei drei Workshopangeboten mitmachen.
Zu Kennenlernen und Ausprobieren erster Techniken und Schrittkombinationen des Break und Street Dance, die zu einer kleinen Choreografie zusammengefügt werden, laden Joy Alpuerto Ritter und Timo Draheim ein.
Mit Nicole Meier, aus Dresden, von den „carrot dancers“, die einen Unterrichtsstil entwickelt hat, der auf der Limòn-Technik basiert, kann man einige Möglichkeiten des Modern Dance Stils kennenlernen. Mit der Choreografin Anja Kozik wird die Frage erkundet, wie Stücke, wie eine Choreografie entsteht. Ausgehend von Improvisationen wird in diesem Workshop eine Geschichte entwickelt, und mit Mitteln des Tanzes dargestellt.
Für alle, doch lieber weiter zusehen möchten, oder auf Freunde, Kinder, Partner oder Nachbarn, die in einem Workshop arbeiten warten, wird der Film „Rhythm is it“ gezeigt.
Tanz-Lust für alle! Symposium und Gala am Welttag des Tanzes, dem 29. April
Am Nachmittag, ab 14.00 Uhr, drei Blicke auf die Tanzlust und die Chance, sich einzumischen und bewegen zu lassen. Der Eintritt ist frei, zum Abschlusssymposium, im Dresdner Societaetstheater. Herzliche Einladung zum Zuhören und Mitmachen für Fachleute und solche, die es werden wollen, gleich ob sie tanzen oder nicht, ob sie auf den Podien stehen oder neugierig davor sitzen. Erst lädt die Tanzkritikerin Dr. Elisabeth Nehring aus Berlin ein, mit ihr einen lustvollen Blick auf die Tanzlust zu werfen, denn sie weiß, wie lustvoll hier und anderswo getanzt wird. Dann wagt Angela Rannow von der Palucca Schule den lustigen Blick auf die Kulturgeschichte der Tanz-Lust, abseits von Podien und Bühnen.
Nach den listigen Blicken eines eigens für die Tanzwoche gedrehten Films von Hagen Wiel, der ganz alltägliche Tanz-Lust dokumentiert, lädt der Choreograf Reiner Feistel ein, sich selbst zu bewegen und bewegen zu lassen.
Und die Gala zum Abschluss
Es ist gelungen! Alle sind dabei, die sächsischen Ballettcompanien und Tanztheater, Vertreter der freien, professionellen Tanzszene, aus Dresden, Chemnitz, Leipzig, Görlitz, Plauen und Zwickau, Studierende der Palucca Schule und Mitglieder des Tanzprojektes der Staatsoperette für Schüler „Chess-Fever“.
Klassisch, romantisch, modern und experimentell, unterhaltend und witzig, wird getanzt in der Gala zum Abschluss der Tanzwoche, am Welttag des Tanzes, im Großen Haus des Dresdner Staatsschauspiels. In über zwanzig, vornehmlich kurzen Beiträgen wird zu erleben sein, wie es um die Tanz-Lust in Sachsen bestellt ist. Das gemeinsam mit dem Sächsischen Bühnenverein präsentierte Finale nimmt den Anfang auf und vermittelt noch einmal eindrücklich, bewegend und sinnlich, dass die Tanz-Lust kein Alter kennt. Ehemalige Tänzerinnen und Tänzer der Oper Leipzig, Jahrgang 1927 bis 1943, die Protagonisten des Films „Tanz mit der Zeit“, sind ebenso dabei wie Solisten vom SemperOper Ballett, die Tänzerinnen der shot AG, oder die Mitglieder vom östlichsten Tanztheater Deutschlands in Görlitz.
Break und Ballett zum Abschluss der 17. Internationalen Tanzwoche Dresden. Rückschau und Ausblick, vor allem der Beweis, bewegt, bewegend und lebendig: Die Tanzlust ist lebendiger denn je!
Boris Michael Gruhl
Das ganze Programm, Informationen zu Kartenpreisen und Rabatten, Vorverkauf und Reservierung unter: www.tanzwoche.de