Das Kronos Quartet (Foto: J. Blakesberg)
Der großartige Film “Capricorn One” wird nächste Woche dreißig Jahre alt. Er handelt von einer vorgetäuschten Mars-Mission; die Astronauten gaukeln den Zuschauern alles in einem Filmstudio vor, weil das Geld
und die Technologie nicht für eine echte Mission reichen…
Ähnlich verschaukelt mögen sich manche Zuhörer von “Sun Rings” am Freitag im Kongresszentrum gefühlt haben. Sausende Sternenwinde? Fehlanzeige, das war die Klimaanlage. Das 2002 fertiggestellte Werk des amerikanischen Komponisten, mehr noch die kitschigen, zwischen esoterischer Astro-Schwärmerei und neuweltlichem down-to-earth-Patriotismus changierenden Bilder und Arrangements des Multimedia-Künstlers Willie Williams bedienten alle nötigen Klischees, die seit Gustav Holst mit dem Weltraum verbunden sind. Wenn die ätherischen Chorklänge die Streicher mal gleichzeitig, mal um ein Achtel versetzt umwehten, war das entweder unlogisch komponiert – oder nachlässig interpretiert.
Das Kronos Quartet ließ mithin die Bissigkeit, die Prägnanz und die Leidenschaft früherer Projekte vermissen. War’s, weil dieses Dresdner Konzert, das vor drei Jahren schon einmal abgesagt werden musste, einfach unter keinem guten Stern stand? Oder weil die sentimentalen Bilder, Texte und Klänge, die sich nach den furchtbaren Ereignissen des Jahres 2001 ins Herz wohl jedes Amerikaners und leider auch in die letzten beiden Sätze von “Sun Rings” schlichen, heutzutage schon wieder reichlich hausbacken wirken?
Im nicht ausverkauften Kongresszentrum, mit einer nicht optimal eingerichteten Verstärkeranlage, die die Streicher dumpf und unwirklich klingen ließ, wollten jedenfalls keine Sternenstaub-Gefühle aufkommen. Da konnte auch der sehr diszipliniert singende Universitätschor Dresden unter Maja Sequeira nichts retten. Der Weltraum – unendliche Weiten, die unsere Vorstellungskraft übersteigen? Sicher birgt er mehr als die platten Sprüche (“Eine Welt – ein Volk”), religiösen Formeln und rhythmischen Loops vom Tonband, die sich an diesem Abend zu einer Melange fügten, die etwa gegen Godfrey Reggios blitzgescheiten “Koyaanisqatsi”-Film von 1982 (mit Musik von Philip Glass), der zwar ähnlich moralschwanger, dafür aber künstlerisch radikal agiert, nicht annähernd bestehen kann.
Das brave Kronos Quartet inmitten von kleinen LED-Kerzchen und eigentlich nutzlosen und nur manchmal funktionierenden Bewegungsmeldern, vor Fotos von riesigen Skylines und Elefanten? Um das Programmheft zu zitieren: “Was für ein Raum […] ist [das], in dem wir leben, woher wir kommen und wohin wir vielleicht eines Tages gehen”? Die interessanten Sounds und Geräusche, die die NASA für die Komposition zur Verfügung stellte, gingen in dieser Moralorgie sang- und klanglos unter.
Anders Winter
(Eine Textfassung des Artikels ist am 19.5.2008 in der Sächsischen Zeitung erschienen. Der gekürzte Nachdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.)