Solist: Nikolaj Znaider (Fotos PR)
Die neue Saison der Dresdner Semperoper – sie ist eröffnet! Musikliebhaber hatten gleich zu Anfang die Wahl: ein festliches Galakonzert mit André Rieu (am Freitag) oder etwas schwerere Kost
mit dem Gustav Mahler Jugendsinfonieorchester (am Sonntag)? Der Rezensent entschied sich leichten Herzens für letztere Veranstaltung – hier die Besprechung.
Nach Konzerten beim Bozener Festival und beim Musik-Festival Grafenegg hat das multinationale Gustav Mahler Jugendorchester jüngst auch der Dresdner Semperoper wieder einen Besuch abgestattet. Zu Ostern war das Ensemble unter Herbert Blomstedt im Rahmen eines Sonderkonzerts der hiesigen Musikfestspiele mit Sibelius’ “Siebter” angetreten; diesmal kam nach Beethovens Violinkonzert die Zweite Sinfonie des Finnen zu Ohren. Tatsächlich scheint sich im Orchester – unter ganz unterschiedlichen Dirigenten und über die naturgemäß häufigen Besetzungswechsel hinweg – eine ganz eigene Herangehensweise an die zu erarbeitenden Werke etabliert zu haben. Weil der immer schwerer wiegende Erfahrungs-Rucksack, den professionelle Orchestermusiker jahrzehntelang über verschiedene Interpretations- und Denkansätze hinweg mit sich herumschleppen, noch nicht annähernd gefüllt ist, erlauben sich die jungen Wilden einen unbekümmerten Zugang zu den Stücken, der manchmal querfeldein zu führen scheint. Sie arbeiten mit Kraft, perfekt geputzter Technik und einem unbändigen Gestaltungswillen, was der Außenansicht der aufgeführten Werke insgesamt unbedingt guttut. Eine andere Frage wäre, ob das Orchester auch aufführungspraktisch und musikhistorisch noch genauer, noch informierter auftreten müsste. Nicht allem und jedem – Beethovens Solokonzert zum Beispiel – bekommt der riesige Orchesterapparat, der sich mithin nicht scheut, an akustische Schmerzgrenzen zu gehen.
So ist das Bild, das sich nach einem einzigen Konzert mit oft uneingeschränkt enthusiasmierten Festivalpublikum an der Seite leicht zu grandios zeichnen ließe, in Wirklichkeit vielleicht etwas differenzierter. Unbesehen ist die Qualität der einzelnen Musiker auf allerhöchstem Niveau; das sieht und hört man. Etwas anderes ist schon das gemeinsame Ringen um eine ganzheitliche Idee; wo etwa der sonst gefeierte Konzertmeister sich hier am letzten Pult der Geigen wiederfindet, muss zumindest die Gefahr gelegentlichen stolzen Einzelkämpfertums in den Reihen angenommen werden. Ausnahmen blieben die Momente, da die Bläser den Streichern oder dem Solisten vorauseilten, noch fix hinterherflitzten oder an ihrer eigenen Intonation strickten; aber es gab auch Stellen, da ein Orchester-Accelerando nicht organisch, sondern eher perfekt eingeübt klang…
In jedem Fall verkörpert Nikolaj Znaider die Tugenden dieses Orchesters par excellence. Mit einem durchdringend singenden, eher durch Saugen denn durch Streichen erzeugten Ton, einem durch alle Register hindurch perfekt kontrollierten Bogenspiel und blitzsauberer Intonation blieb Znaider oft am oberen Rand der dynamischen Skala (wiewohl kein Wunder bei der Größe des Orchesters), wußte aber auch mit sehr intimen Passagen zu überzeugen. Wie Andersens Nachtigall sang die Guarneri des dänischen Ausnahmesolisten im zweiten Satz des Konzerts; die zugegebene Sarabande aus Bachs d-Moll-Partita besänftigte das wie toll klatschende und trampelnde Publikum zuverlässig.
Bliebe nachzutragen, dass sich das Dirigat Sir Colin Davis’ auch in Sibelius’ “Zweiter” oft aufs Stichwortgeben und manchmal noch aufs Dämpfen der Dynamik beschränken konnte; so aufmerksam und umsichtig leiteten die ersten Pulte ihre jeweilige Riege. Wenn auch der ein oder andere Höhepunkt hier etwas überakzentuiert hinplatzte, so begeisterte das Orchester doch mit seiner ausdrucksstarken Lesart, mit saftigen Streicherklängen und charakteristischen Bläsersoli. Die Semperoper hat wohl schon wesentlich gutmütigere, erfahrenere Orchester beherbergt; allein, so ein frischer Auftakt macht richtig Lust auf die nächste Saison. Nikolaj Znaider kommt zum Glück bald wieder: im Januar 2009 dirigiert (!) und spielt er das Mendelssohn-Konzert gemeinsam mit der Sächsischen Staatskapelle.
Martin Morgenstern