“Hollywood extra” war das Konzert mit dem musica-viva-ensemble dresden betitelt und bot Filmmusiken – ohne Film. Der Bilder beraubt, durften die Werke sich künstlerisch autonom erproben.
Können Filmmusiken von Nino Rota (gest. 1979) oder Hanns Eisler (gest. 1962)
zu Streifen, die heute keiner mehr kennt, Beiträge zur inhaltlichen Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst leisten? Unbedingt, bilden sie doch den Hintergrund für die weitere Entwicklung eines heute künstlerisch umstrittenen Genres. Wo kommerzielle Filmmusik lieber Hormone statt Hirn bedient, wird es spannend, nach alternativen Ansätzen zu fahnden. Spröde Charakterstücke wie Hans Werner Henzes “Fantasia” für Streichsextett (eine Bearbeitung der Musik zu Schlöndorffs Film “Der junge Törless” von 1966) mögen nicht hollywoodtauglich sein; stattdessen haben sie sich aber im Konzertsaal behaupten können und sind dem Publikum manches Mal präsenter als der Film, dessen Untermalung sie dienten.
Das Dresdner musica-viva-ensemble, geleitet von Ekkehard Klemm oder vom ersten Pult aus, präsentierte am Sonntagabend einen relativ wahllos erscheinenden Längsschnitt durch sechzig Jahre Filmmusik – ohne Film. Den Beginn machte David Sawers Musik “Hollywood Extra” von 1995 zum 1928 gedrehten Stummfilm “Life & Death of 9413”. Nicht nur bei diesem Werk wären statt der seitenfüllenden Komponistenportraits im Programmheft einige Filmstills der Annäherung an diese – ja, Programm-Musik durchaus förderlich gewesen, auch wenn eben diese Musik sich ja autonom erproben sollte. Darius Milhauds wunderbare Miniaturen-Suite “La cheminée du roi René” op. 205 für Bläserquintett gelang dieser ästhetische Alleingang vielleicht am besten.
Musica-viva zitierte aber auch streitbares wie eine “Musik für Violine und Klavier” betitelte Bearbeitung der Filmmusik von Steven Spielbergs “Schindlers Liste”. Wohl kann man es Komponisten kaum verübeln, wenn sie zielgruppengerecht arbeiten und dann solche “wirklichen Schnulzen” (der Solist Thomas Meining über dieses Werk) produzieren. Allerdings muss sich der jeweilige Interpret entscheiden, ob er eine möglichst authentische Interpretation im Sinne der Komposition (und damit nah am Kitsch) anstrebt oder – wie Meining – sich etwa durch raschere Tempi der intendierten Vereinnahmung durch die Musik entzieht.
Anders Winter
Eine Textfassung des Artikels ist am 7. Oktober in der Sächsischen Zeitung erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abzudrucken.