Ließ in »Trajektorien« Planeten kollidieren: Dagmara Jack (Foto: PR)
“Erst am Nachmittag des zweiten Tages vor der Aufführung seines ersten Konzerts schrieb er das Rondo… Im Vorzimmer saßen vier Kopisten, denen er jedes fertige Blatt übergab…” So
ist uns der knappe Zieleinlauf des C-Dur-Klavierkonzerts des fünfundzwanzigjährigen Beethoven überliefert. Heute sind es eher nüchterne Dispositionsgründe, die die Probezeit eines neuen Werks begrenzen. So musste denn ein Anspieltermin reichen für das erste Werkstattkonzert im Rahmen der neuen Kooperation von Musikhochschule und Philharmonie. Ein richtiges Konzert sei das ja auch nicht, nur eine “Erste Anhörung”, versuchte der Dirigent Roland Kluttig die Erwartungen des kleinen Publikumskreises im Kulturpalast zu dämpfen. Die Einschränkung stellte sich als unnötig heraus. Bis auf einen Frühstart in den Bläsern, der sofort ausgebügelt war, und vielleicht einigen Pizzicatos, die noch nicht perfekt koordiniert schienen, musizierten die Philharmoniker die Werke souverän und ausdrucksstark.
Kurzweilige Anmoderationen der drei Kompositionsstudenten ersetzten das Programmheft. So erfuhr man, dass Andreas Tsiartas’ Werk “Floja” (Flamme, komponiert 2006/07) weniger eine physikalische Beschreibung im Sinne Xenakis’ als eine Art Klangskulptur sei, Dagmara Jack mit 15 Jahren am allerliebsten Krzystof Penderecki hörte (wer tut das in diesem Alter nicht) oder der Titel des Werkes “Wind, Regen, Schnee / Mond” von Torsten Reitz auf ein Gedicht des japanischen Zenmeisters Ikkyu zurückgeht, aber erst kurz vor Fertigstellung der Kompositionsaufgabe den Weg aufs Titelblatt fand.
Und die Werke selbst? Sie blieben moderat im Ton und verhielten sich respektvoll, was die technischen Anforderungen an ein großes Sinfonieorchester angeht. Im Verlauf hätte manches stringenter angelegt, musikalische Akzente deutlicher gesetzt sein können. Der finale Crash zweier Planeten in Dagmara Jacks “Trajektorien” (2003) blieb zum Beispiel ein bißchen sittsam. Wo das Naturereignis unerwartet und gnadenlos eintritt, wirkte es im Konzertsaal halbherzig (aber eben nur halbherzig) vorbereitet.
Doch genau um solche zeitlichen, klanglichen und technischen Grenzen einmal auszuloten, um vielleicht zu merken: hier und da sieht’s zwar auf dem Papier gut aus, vertrüge aber die Aufführung eine schlüssigere Dynamik, noch mehr Tempo – dafür sind “Anhörungen” wie diese da. Es wäre ein Gewinn für alle, wenn sich die Veranstaltungsreihe, die übrigens Teil des Dresdner Klangnetzes ist und durch das Netzwerk Neue Musik gefördert wird, dauerhaft etablieren und in Zukunft vielleicht nicht mehr nur Lehrer, Kommilitonen und Familienangehörige der jungen Komponisten anziehen würde.
Martin Morgenstern
Der Text ist am 11. Oktober in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abzudrucken.