Der Regisseur Michael von zur Mühlen hat Wagners »Fliegenden Holländer« nicht befragt, sondern – zum Leidwesen der Akteure und des Leipziger Publikums – in einer trotzigen Hassorgie regelrecht abgeschlachtet.
Gleich dem »Fliegenden Holländer« hat der Kölner Regisseur Michael von zur Mühlen diesmal ganz offenbar die schnellstmögliche Selbstvernichtung angestrebt. Mit einer Inszenierung, die so prollig daherkam wie das Arschgeweih-Tattoo der Stripperin, die am Samstagabend erst auf der Bühne und dann direkt im Zuschauerraum zur Tat schritt, hat der ehemalige Konwitschny-Assistent der ohnmächtig leidenden Leipziger Oper einen brutalen Kopfstoß versetzt – und damit den ansässigen Verächtern des modernen Regietheaters eine traurige Steilvorlage geliefert. Die wenigen schlüssigen Momente des ach so provokanten Versatzes von Batman, King Kong und Popeye (billigste Kostüm- und Ausstattungsklischees: Dorothee Scheiffarth) in der ab und zu tatsächlich wirkungsvoll eingesetzten Szenerie (Natascha von Steiger) gingen alsbald im allgemeinen Blut-, Kotz- und Tränenbad unter und verendeten – natürlich! – im sinn- und verstandeslosen Rudelbumsen der untoten Mannschaft.
Halblautes gekünsteltes Gelächter im Publikum wich an diesem Abend nach nur zehn Minuten gellenden Pfeiforgien, laut gerumsten Saaltüren und erregten Rufen („Widerlich!“, „Sofort diesen Film aus!“), und endete schließlich nach zwei qualvoll durchlittenen Stunden mit einmütigem, wütenden Gebrüll beim Erscheinen des Regisseurs auf der Bühne. Dass der Bassbariton James Johnson einen kläglich brüchigen Holländer sang, während Edith Haller als Senta brillierte; dass Chor und Zusatzchor der Oper, einstudiert von Sören Eckhoff, übermenschliches leisteten und den oft recht matten Tönen aus dem Orchestergraben (Leitung: Leopold Hager) den Rang abliefen: alles gleich, alles egal. Nur raus hier, und die Filmbilder von grausam getöteten Tieren abstreifen.
Vieles mag man dem jungen Bilderstürmer von zur Mühlen letztlich nachsehen. Die handwerklichen Schnitzer: so arbeiteten sich die Matrosen noch am Bühnenbild ab, während die Videoleinwand sie schon beim Erstürmen des Opernfoyers zeigte. Die hölzerne Figurenführung: das Höchstmass an Emotionen bestand in mehrfachem An- und Ablegen von Kleidung. Das größtenteils unmotivierte Zitieren der üblichen Verdächtigen: sei es nun Prostitution, sexueller Missbrauch oder Körperflüssigkeiten ganz im allgemeinen.
Allein das völlig unmotiviert erscheinende und über lange Strecken nur sinnlos provozierende Arbeiten gegen den Komponisten, gegen die Sänger, gegen die Musik – das bleibt von diesem Premierenabend im Gedächtnis. Wer Oper nur hassvoll gebraucht, um sie nachhaltig kaputtzumachen, um sie anderen zu verleiden, der unterliegt einem fundamentalen Missverständnis von Kunst und Rezeption. Mit dieser Inszenierung hat Michael von zur Mühlen sich und der Oper einen traurigen Bärendienst erwiesen.
Anders Winter
Eine Textfassung des Artikels ist am 13.10.2008 in der Sächsischen Zeitung erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.