Gritt Gnauck (Périchole), Marc Horus (Piquillo)
Die lange Straßenbahnfahrt nach Leuben, zum Gespräch mit Michiel Dijkema, dem Regisseur und Bühnenbildner für Jacques Offenbachs Operette „La Périchole“, die demnächst hier Premiere hat, habe ich überlegt, wo er das
Stück wohl spielen lassen wird. Wo findet ein junger Theatermann, der mit 34 Jahren bereits etliche Inszenierungserfolge an europäischen Bühnen vorzuweisen hat, heute einen Ort, der genau jene Exotik birgt, die zur Zeit der Uraufführung des Stückes in verschiedenen Fassungen für das Pariser Publikum in den Jahren 1868 oder 1874 ein so gut wie unerreichbarer und unbekannter Ort wie Lima hatte?
Michiel Dijkema trifft sich mit mir in einer Pause zwischen zwei Proben. Wir setzen uns in den Zuschauerraum. Der Vorhang ist offen, die Bühne im Arbeitslicht. Was ich sehe, ist eine wahrhaft gelungene Überraschung. Ich bin verblüfft. Jawohl, das ist es, das ist der Ort für Offenbachs wunderbares und phantastisches Stück, so nah wie fern, so normal wie exotisch, für die einen so fremd wie Lima, für die anderen so bekannt wie die sprichwörtliche Westenasche. Der Ort ist wandelbar, er birgt die herrlichsten Illusionen und die gefährlichsten Untiefen. Das muss reichen. Mehr wird nicht verraten. Selber hingehen.
Was mir der niederländische Regisseur und Bühnenbildner über seine Arbeit an dem Stück mit dem Ensemble der Dresdner Staatsoperette sagt, macht auf jeden Fall neugierig. Das Stück hat kräftig gezeichnete Figuren, etwa die Protagonistin Périchole, die Straßensängerin, eine Frau mit Herz und Stimme, aber ohne Dach überm Kopf und ohne Auskommen. Das Stück hat komische und ergreifende Szenen, denn Périchole muss, um zu überleben, sich gegen ihre Liebe entscheiden, was ihren Geliebten Piquillo, ebenfalls Straßensänger, fast in den Selbstmord treibt. Die Situationen steigern sich ins Groteske. Hunger macht erfinderisch, Lust und Liebe auch. So kommen zum guten Operettenende, das nicht immer wahren Begebenheiten entspricht aber dadurch nicht unwahr sein muss, diejenigen zusammen, die zusammengehören. Und ein Herrscher, von dem nicht so klar ist, ob ihm die Kunst oder doch eher die Künstlerinnen so sehr am Herzen liegen, gibt sich als großmütiger Förderer derselben.
Marcus Günzel (Don Pedro), Marc Horus (Piquillo), Frank Oberüber (Graf Panatellas)
Das ist genau das richtige Straßentheater für ein Dresdner Stadttheater, an dessen Ende erst mal wieder alle irgendwie beruhigt sind, aber abzusehen ist, wann es für Périchole und Piquillo wieder eng wird. Jetzt machen sie ein Lied aus ihrem Leben. Singen hilft, wenigstens für den Moment eines Theaterabends. Und um diesen zum Erfolg zu führen, zieht Michiel Dijkema etliche Register seines Könnens. Das hat er bei der Arbeit als Regisseur freier Theatergruppen in seiner niederländischen Heimat erworben, wo er zudem ein Klavierstudium an der Hochschule der Künste in Utrecht abschloss. Dann zog es ihn gänzlich an das Regiepult und nach Berlin zum Studium an die Musikhochschule Hanns Eisler, zu Lehrern wie Gerd Rienäcker und Peter Konwitschny. Es folgten Regiearbeiten etwa in Berlin, Eisenach, Tallin oder in Stockholm am berühmten Schlosstheater Drottningholm. Zuletzt, im August inszenierte er für das Amsterdamer Grachtenfestival die in den Niederlanden so gut wie unbekannte Oper „Der Vampyr“ von Heinrich Marschner. Für die Nationale Reiseoper wird er Rossinis „La Cenerentola“ einstudieren und nach Moskau wurde er eingeladen, um an der Novaya Opera „Die Fledermaus“ herauszubringen.
In Dresden ist Michiel Dijkema, dessen Arbeiten mit etlichen Preisen ausgezeichnet wurden, zum ersten Mal. Bisher war wenig Zeit für die Stadt, zudem steckt er in der Arbeit an einem Theater, das sich gänzlich dem Genre des unterhaltenden Musiktheaters verschrieben hat, dabei aber immer wieder neue Akzente und Maßstäbe setzten will.
Offenbachs Opéra-bouffe kommt hier in einer neuen Übersetzung von Peter Ensikat heraus, Ernst Theis dirigiert und in Doppelbesetzung sind Sabine Brohm und Gritt Gnauck inmitten eines exzellenten Ensembles in der Titelpartie zu erleben. Beste Voraussetzungen dafür, die Frische der Musik zu verbinden mit einer Handlung, die sich ganz sicher auf aktuelle Situationen bezieht, das ist bei Offenbach unumgänglich, dennoch nicht in den Fehler zu machen und das Stück pur und eins zu eins ins Heute zu übertragen. Das Ferne, das Ungewöhnliche, die Sehnsüchte und vor allem der unvorstellbare Einbruch des Unerwarteten, haben ihren Ort im Theater, und die Musik, der Gesang, der Tanz, der Witz, Romantik, melancholisch oder ironisch, sind die Mittel mit denen sie uns nahe kommen.
Also gilt es für den Regisseur in seinem eigenen Bühnenbild kraft genauer Arbeit die Aufführung in schönsten Farben aufleuchten zu lassen, die Handlung klipp und klar zu erzählen, ohne trocken „vom Blatt“ zu spielen, und uns dennoch zu entführen auf die Höhen der Phantasie. Wer Ohren hat hört. Wer Augen hat sieht. Der Zeigefinger bleibt unten. Versprochen!
Boris Michael Gruhl
Fotos (2): Kai-Uwe Schulte-Bunert
Der Text ist am 23. Oktober in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abzudrucken.
La Périchole
Opéra-bouffe von Jacques Offenbach, ins Deutsche übertragen von Peter Ensikat
Musikalische Leitung: Ernst Theis
Inszenierung und Bühnenbild: Michiel Dijkema
Premieren: 24./25. Oktober
Weitere Vorstellungen: 26., 28., 29. 10.; 18./19.11.