Foto: Matthias Creutziger
Ja, was denn: sollte Maria Callas (1923–1977), als sie sich nach dem frühen Ende ihrer Karriere als Sängerin im Jahre 1971 überreden ließ, an der berühmten New Yorker Juilliard School of Music eine
Reihe von Meisterklassen zu geben, den jungen Sängerinnen und Sängern wirklich nur Binsenweisheiten und Allgemeinplätze mitzuteilen gehabt haben? Sollte sie die Situationen schamlos und gemein ausgenutzt haben, die jungen Kollegen vorzuführen, lächerlich zu machen, um sich selbst noch einmal ins Licht zu setzten? Trieb sie bei ihren giftigen Bemerkungen der Neid oder die Angst davor, vergessen zu werden?
Der amerikanische Autor Terence McNally, geboren 1939, hat bei diesen Meisterklassen zugehört. Was müssen das für Menschen sein, fragte er sich, die einen anderen Menschen zum Objekt ihrer unerreichbaren Begierde machen müssen, um selbst irgendwie zurecht zu kommen? Solche Stücke siedelt McNally gerne, weil es da für ihn so exemplarisch, schrill und grotesk zu verorten ist, im schwulen Milieu an. Ganz klar in seinem anderen Callas-Stück „The Lisbon Traviata“ (1989), das sogar tödlich ausgeht, oder in „Corpus Christi“ (1997), in dem Jesus als Ikone inmitten einer schwulen Jüngerschaft dargestellt wird, was ihm heftige Proteste einbrachte, soweit zu sehen aber kaum noch gespielt wird. Der flotte Wurf des Autors mit der Wurst nach der Speckseite war zu offensichtlich. Vor allem aber schreibt McNally Broadwaystücke. „Master Class“ von 1995, ein Paradestück für Schauspielerinnen, ist eine Komödie und sein erfolgreichstes Stück. Es zeigt wohl eher ein Bild von der Callas unter Verwendung biografischer Fakten, als die Callas selbst in biografischen Situationen.
Barbara Hoene steht als Sängerin inzwischen über 40 Jahre auf der Opernbühne. Eine Karriere wie die Callas hat sie nicht gemacht; nach dem Studium ging es über Dessau und Halle nach Dresden. Nun, in Italien am berühmten Teatro La Fenice in Venedig, hat sie auch gesungen. Beim Label Mondo Musica gibt es einen Mitschnitt des Dresdner Rosenkavaliergastspiels von 1982; Hoene singt dort die Sophie.
Und sie singt noch immer. Nach wie vor vermag sie es, mit ihren Auftritten in einer Inszenierung Akzente zu setzen: man denke nur an ihre knappen, aber prägnanten Szenen in der jüngsten Premiere „Il trovatore“ an der Semperoper. Auf der Operettenbühne lässt sie sich schon mal hinreißen zu einer flotten Sohle im Stile der goldenen Zwanziger. Man kann der Sächsischen Staatsoper nur gratulieren, eine solche Kraft im Ensemble zu haben; und es bietet sich geradezu an, sie diese „Meisterklasse“ geben zu lassen.
Zur Wiederaufnahme war die kleine szene gut besucht, es gab sehr herzlichen, begeisterten Applaus. Schade aber, dass es der Regisseurin Angela Brandt nicht gelungen ist, die Rolle der Callas aus der Identifizierungsfalle zu befreien, Sentimentalitäten und einem Hang zur Überbetonung “wichtiger” Worte Einhalt zu gebieten, die Groteske dieses postmortalen Spektakels zu erkennen und spielen zu lassen. Die beiden Sängerinnen Maria Meckel, als Amina in Bellinis „La Sonnambula“ und Stefanie Jonas als Lady in Verdis „Macbeth“, gehen ja immer schon an die Wand, bevor Barbara Hoene überhaupt ansetzen kann, sie daran zu spielen. Einmal blitzt etwas auf von der Komödie, von dem mordsmäßigen Spaß, wenn der Tenor Timothy Oliver auftritt, alle anlacht, singt und siegt. Evgeni Feldmann ist der so linkische wie devote, musikalisch zuverlässige Pianist, Falk v. Ryssel der Hausmeister. Fotos der Göttlichen werden eingeblendet, Aufnahmen der Callas, eben als Amina und Lady, sind mit Unterbrechungen zu hören. Peter Küchler als Souffleur leistet seiner Kollegin verlässliche Dienste.
In dieser Saison nur noch heute und am 31. Oktober, jeweils 20.00 Uhr. Eine herzliche Empfehlung!
Boris Michael Gruhl