Himmlisch blau der Beginn und himmlisch heiter das Finale. Das dresden SemperOper ballett, mit erstaunlich guter künstlerischer Bilanz nach der ersten Saisonhälfte, lädt zum Jahreswechsel zur Festtagsgala. „Exsultate! Exsultate“ steht über dem Superabend, der ganz gemäß dem lateinischen Titel zum
Jauchzen ist und an dem die Compagnie in sechs Choreografien zeigt, was sie kann und Lust weckt auf das, was in weiteren Produktionen zu erwarten ist. Bis auf die Premiere einer Choreografie des ersten Solisten Jirí Bubenícek handelt es sich um Stücke des Repertoires; in neuer Zusammenstellung ergeben sie einen Ballettabend, dessen Spannungsbogen enorm ist.
Elena Vostrotina, Dmitry Semionov (Foto: John Otto)
Der Abend beginnt in strahlendem Blau – mit „A Million Kisses to my Skin“ von David Dawson. Zu Johann Sebastian Bachs Klavierkonzert d-Moll BWV 1052 tanzen drei Paare und drei Tänzerinnen in wunderbar gelöster Stimmung aus dem Geiste jubilierender Musik, zu der das Memento des Mittelsatzes sich harmonisch fügt. Da springt der Funke sofort über. Die exzellenten Tänzerinnen und Tänzer – solistisch, als Paare oder in der Gruppe, fast immer über dem Boden, dabei in spannender Asymmetrie – vermitteln ein Gefühl von Überwindung aller Erdenschwere und bleiben doch als Persönlichkeiten gänzlich irdisch. Eugen Feldmann als Solist, die Damen und Herren der Staatskapelle unter der Leitung von David Coleman musizieren Bach beschwingt. Dass eine gewisse Nachdenklichkeit mitschwingt, kommt dem himmelstürmenden Jugendwerk des Dresdner Hauschoreografen nur entgegen.
Die technische Brillanznummer „Grand Pas Classique“, nach Victor Gsowskys Huldigung an die Strenge des klassischen Tanzes, mit der Musik von Daniel-Francois-Esprit Auber, hat Ballettdirektor Aaron S. Watkin Kanako den jungen Tänzern Fujimoto aus dem Corps de Ballet und Pavel Moskvito aus der Gruppe der Coryphées anvertraut. Aller Anfang, ein solcher zumal, ist eine gewaltige Herausforderung. Nervosität und Unsicherheiten eigeschlossen, doch ein beachtlicher Anfang. Alles auf Hoffnung.
Schwindelerregend, sinnlich und lustvoll auf Spitze, folgt William Forsythes „The Vertiginous Thrill of Exactitude“, getanzt von Anna Merkulova, Mariane Joly, Katherina Markowskaya, Denis Veginy und Maximilian Genow, der mit so eleganter wie technisch verblüffender Präsenz schon im ersten Stück auffällt. Man möchte Franz Schubert wünschen, dass er sehen könnte, wie so heitere Seelenvögel geschwind zu seiner Musik aus der achten Sinfonie in C-Dur durch den Raum wirbeln und die Vision vermitteln, für Momente habe aller Kummer ein Ende, alle Einsamkeit sei dahin, und alle Tränen Freudentränen.
Jirí Bubeníceks Choreografie „Kanon in D-Dur“, die er gemeinsam mit Fabien Voranger und István Simon tanzt, ist bei aller Bewegungsenergie ein nachdenkliches und geheimnisvolles Werk. Zunächst, zu einer drohenden Klangcollage von Otto Bubenícek, gehen die Männer auf Lichter zu, die in der Bühnentiefe, unter der doppelten Widergabe eines Bildes von Leonardo da Vinci, das in fast heiterer Weise von menschlicher Vergänglichkeit erzählt, verlöschen.
Die Staatskapelle spielt den bekannten Kanon von Johann Pachelbel in satten Tönen, die in ruhigem Fluss dahingleiten. Soghaft und tröstend zugleich. Angstfrei, unabänderlich. Dazu ein männlicher „Lebenstanz“: zunächst einzeln, nacheinander, dann miteinander, begleitend, aufhelfend, vorbeigleitend und verklingend. Vom Boden in die Höhe und zurück. Vergeblichkeit. Ein Kanon aus Klang und Bewegung voller Energie.
Alexandra Lo Sardo: “Petite Mort” (Foto: Angela Sterling)
Am Ende sind die Engel mit Mozart unter sich. Zwei Klassiker der Tanzmoderne von Jirí Kylián, „Petite Mort“ – leider nur ein Teil der Choreografie – und „Sechs Tänze“. Zunächst drei Paare erster Solisten: Natalia Sologub und Jirí Bubenícek, Olga Melnikova und Fabien Voranger, Yumiko Takeshima und Raphael Coumes-Marquet, in sinnlichen Varianten der kleinen „Liebestode“, die trotz Aggression und Schmerz doch schönster Grund allen Lebens sind. Johannes Wulff-Woesten ist der Solist im Andante aus Mozarts Klavierkonzert C-Dur, KV 467, dem als Zwischenspiel das Divertimento in D-Dur, KV 136, folgt. „Sechs Deutsche Tänze“, das Satyrspiel zum Finale: da bricht der himmlische Humor sich ganz irdisch Bahn auf der ehrwürdigen Bühne der Semperoper. Der schöne Spaß von Liebesfreud und Liebesleid. Zusammenzukommen ist eine Sache, zusammen zu passen, eine andere. Also geht es sprungfidel und kreuz und quer durch die Beziehungen der vier Paare, erotisch oder chaotisch. Die Zeit vergeht im Flug. Wir sind im Ballett.
Boris Michael Gruhl
Eine Textfassung des Artikels ist am 30. Dezember in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.
Nächste Vorstellungen: Sonntag, 04.01.2009, 14.30 und 19.30 Uhr