Dass die Pausenklingel das Thema “Das geht schief!” spielte, war einer der ironischsten Zungenschläge des ansonsten arg schaumgebremsten Abends. Würde sich dieser gewitzte Holmes (Marcus Günzel) heute noch für die strunznaive Näherin entscheiden…
Krisenzeit ist Operettenzeit. Wenn
dem Handel, der Industrie und dem Arbeitsmarkt die Flaute droht, dann gehen die Sympathiekurven in den Unterhaltungsfabriken hoch. So steigt auch bei der jüngsten Uraufführung an der Dresdner Staatsoperette die Kurve der Publikumsgunst steil an, kleinste Witze ernten große Lacher: „Männer sind wie Taschentücher, manchmal braucht man sie eben.“ Kaum ist der letzte Ton verklungen, da reißt es das Publikum von den Sitzen. Beifall im Takt, Jubel und Pfiffe der Begeisterung. „Jawoll, meine Herrn, so haben wir das gern!“ Das beliebte Duett, einst von Hans Albers und Heinz Rühmann in dem Film „Der Mann, der Sherlock Holmes war“ gesungen, kommt in der Uraufführung des gleichnamigen Musicals nicht vor. Schade, da hätte der Abend wenigstens einen Hit gehabt, der im Ohr bleibt.
Also eine Uraufführung. Vorsichtshalber aber nach bewährtem Rezept angerührt. Nichts geht über das Gute von gestern, wie das seinerzeit bereits als besonders wertvoll eingestufte UFA-Film-Glück von 1937. Wir machen was Neues an der Operette, klingt gut, macht neugierig. Aber beim Alten bleiben wir doch. Alles noch mal geschüttelt und gerührt. Die Hauptsache ist der Effekt. Der bleibt aus. Der neue Mix haut nicht hin. Der Text von Wolfgang Adenberg ist holprig, lang und beliebig wie eine Endlosschleife, ohne Esprit und Pointen. Die Musik von Marc Schubring, die der in Sachen Musical missionarische Mann laut Interview in Gottes Auftrag schuf, wirkt gequirlt, kein Hit, kein Ohrwurm, vor allem weit entfernt vom leichten oder frechen Charme des Sounds der 30er Jahre, der aber emsig zitiert wird.
Die Geschichte von zwei armen Schluckern aus London, die als Sherlock Holmes und Dr. Watson (Marcus Günzel und Frank Ernst) in Brüssel ihr Glück machen, zwei schöne Frauen (Monika Staszak und Nadine Eisenhardt) und zwei blaue Briefmarken finden, der fiesen Madame Ganymare (Bettina Weichert) das finstere Verbrecherhandwerk legen, wird vertragsgemäß ausgebreitet. Vorherrschendes Prinzip: erst etwas erzählen, dann spielen, dann noch besingen; falls solistisch oder im Duett, folgt die Wiederholung im Chor mit Tanz und Moral. Dass alles gut ausgeht, steht ja von Beginn an außer Zweifel, der zaudernde Zweifel aber, mehrfach wiederholt, „Das geht schief“ schwebt wie ein heimliches Thema über dem Unternehmen, bei dem die Bösen bestraft werden und die Guten alle gut bleiben.
Der Regisseur Holger Hauer hält das Geschehen beisammen, lässt es so geordnet und sittsam wie möglich vonstatten gehen, kann aber nicht verhindern, dass die ganze Sache erst mal schwer in Fahrt kommt, dann bei wiederholten Bremsmanövern fast zum Stillstand, keinen Schluss findet und wahrscheinlich aus Zeitgründen aufhört. Am Pult des Orchesters der Staatoperette, bei kräftigem Blechsound, hält Christian Garbosnik ganz gut beisammen, was mitunter nicht immer zueinander kommen oder beieinander bleiben will. Am Ende des langen Abends ist das Ziel erreicht – oder auch nicht; wer wagt, gewinnt nicht immer.
…oder nicht doch lieber mit der geheimnisvollen Madame (in der Samstagvorstellung genial: Agnes Hilpert) durchbrennen? (Fotos: K.-U. Schulte-Bunert)
Die Gunst des Publikums gewinnt das tapfere Ensemble, von dem die Herren Hans-Jürgen Wiese, Hilmar Meier und Christian Theodoridis, sich jeweils in mindestens vier verschiedenen Episoden, vom Staatsanwalt zum Schaffner, vom Richter zum Museumswärter oder vom Hotelportier zum Polizeipräsidenten herunter und herauf verwandeln. Voll auf der Habenseite dieses an Gewinnen nicht gerade üppigen Unternehmens bewegen sich aber ausnahmslos die Mitglieder des Balletts. Melissa Kings choreografische Ideen bersten nicht vor Originalität, sie werden aber flink, flott und zügig geboten. Dazu, nur von wenigen Mitgliedern eines Zusatzchores unterstützt, singen die Tänzerinnen und Tänzer verblüffend direkt und ungekünstelt, geben ihre Mengen an Minirollen uneitel, im Vorübergehen, und verbreiten vor allem einen Geschmack davon, was ansonsten fehlt: die Leichtigkeit.
Insgesamt aber führt solcherart der Zukunft zugewandtes Theater zu den Höhen entsprechender Dichtkunst: „Ist das zu fassen, hebt eure Tassen, schwingt eure Beine, alles kommt ins Reine.“ Was uns lehrt, es fehlt in Leuben an Rotstiften oder es wird mit aller Kraft darauf hin gearbeitet, demnächst doch Werbeblocks in der Art bestimmter TV-Formate einzufügen. Da wäre ja der Fall so gut wie gelöst.
Boris Michael Gruhl
Eine Textfassung des Artikels ist am 26. Januar in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.
Nächste Aufführungen: 27., 28. Januar, 3. März