Emily Magee (Floria Tosca – bis zur Hauptprobe), Lucio Gallo (Baron Scarpia)
Wahr oder Unwahr, historisch oder nicht – das ist nicht die Frage angesichts einer mitreißenden Opernhandlung, wie die der „Tosca“ von Giacomo Puccini, uraufgeführt
im Januar 1900 in Rom, zwei Jahre später als Deutsche Erstaufführung in Dresden auf der Bühne und zur aktuellen Premiere stürmisch gefeiert.
Obwohl die Orte dieses brutalen Politkrimis – Rom, Sommer 1800 – bis heute das Bild der “ewigen Stadt” prägen, Personen des Stückes gelebt haben, historische Voraussetzungen für die Handlung belegt sind: um pure Nachbildung geht es nicht. Eher darum, wie Menschen in den tödlichen Mahlstrom sich bekämpfender und einander ablösender Herrschaftsformen geraten, welch Menschen verachtendes, kriminelles Potenzial zur Durchsetzung von Herrschaftsansprüchen eingesetzt wird, besonders dann, denn der Boden längst unter den Stiefeln der Herrschenden wankt. Gerade scheint es so, als hätte das so konservative und grausame Regime einer Neapolitanischen Königin allen republikanischen Bestrebungen und Napoleonischen Idealen den Garaus gemacht. Da beginnt Puccinis Oper mit wuchtigen Orchesterschlägen, die in Johannes Schaafs Inszenierung bei geöffnetem Vorhang hereinbrechen in das Künstlerleben des Malers Cavaradossi, der gerade zwecks Ausmalung einer Kirche eine junge Schönheit porträtiert.
Der Künstler wird sich mit dem verfolgten Republikaner Angelotti, der hier Zuflucht sucht, den Sangmin Lee eindrücklich gestaltet, verbünden, wird ihm zur Flucht verhelfen und diese Entscheidung eines Augenblicks mit dem Leben bezahlen. Aber noch tändelt die Handlung. Ein skurriler Mesner (Matthias Henneberg mit kernigem Ton) beklagt allgemeinen Verfall und Gottlosigkeit, die Sängerin Tosca, ländlich, naiv mit Feldblumen im Gepäck, besucht Cavaradossi. Liebe oder noch nicht, Eifersucht, begründet oder nicht, Spiel oder Ernst; hier deuten sich musikalisch bereits gewichtigere Dimensionen an. Spätestens wenn Scarpia, Roms so gefürchteter wie gehasster Polizeichef höchstpersönlich auf der Spur des Geflohenen die Kirche betritt, am Ende dieses ersten Bildes, wenn das mächtige Te Deum aufbraust, hat er sie alle schon in der Hand. Der Mann beherrscht die gefährlichste aller Künste, die animalische Kombination erotischer und krimineller Lust. Cavaradossi und Tosca, Künstler ohnehin, sind ideale Objekte der Begierde, so oder so.
Das alles spielt sich ab zwischen hohen Betonwänden eines Sakralraumes auf der Bühne von Christof Cremer, wie er überall auf der Welt dem Zweck dienen könnte: mit mächtigem, zu Stein gewordenem Ritual, Anspruch auf Unerschütterlichkeit zu behaupten. Aus gleichem Material ist Scarpias Palast. Zweites Bild, die Mitte des Dramas, das jetzt aus den Fugen gerät, das keiner der Handelnden mehr gänzlich steuert. Politische und persönliche Antriebe vermischen sich, Tosca zur Rettung des Geliebten, den Scarpia foltern lässt, zum Äußersten bereit, dünkt sich der Bestie ebenbürtig, geht auf den Handel ein: Freiheit für Lust. Was sie nicht ahnt: Scarpia hat gelernt, Gedanken seiner Gegner zu denken. Er blufft. Nur zum Schein zahlt er den vereinbarten Preis; Cavaradossi solle nur scheinbar hingerichtet werden, Freiheit für ihn und Tosca! Was der käufliche Politverbrecher nicht ahnt und was ihm, der in so vielen Röcken steckt, dass er die Auswahl hat, sie in den Wind zu hängen, das Leben kostet: Tosca ist nicht käuflich.
Grandios, spannend und schlüssig bis in minimalste Regungen ist dieser Akt, in dessen Mitte die Zeit für einen Augenblick still steht und ein anderer Fortgang der Geschichte möglich gewesen wäre. Toscas Monolog „Vissi d´ arte, vissi d´ amore..“, Scarpias Verunsicherung, seltene Momente des Musiktheaters, das seine Kraft aus der Genauigkeit einer Hinwendung zum Stück bezieht und dabei sehr klar und mit ungetrübtem Blick für die Gegenwart Stellung bezieht. Spätestens im dritten Akt, wenn an der Hinrichtungsstätte ein Berg abgelegter Schuhe deutlicher als uns lieb sein mag darauf verweist, dass die Dimensionen des Dramas endgültig den privaten Bereich verlassen haben, wenn Toscas spektakulärer Sprung in die vermeintliche Freiheit des Todes in totaler Überhöhung als optischer Effekt inszeniert wird, schließt sich der Vorhang über einem emotional, intellektuell und vor allem musikalisch überzeugenden Opernabend.
Nicht umsonst gilt der Beifall der Protagonisten in besonderem Maß den Mitgliedern der Staatskapelle, die sich unter Ivan Anguélovs Leitung höchst sensibel in der Kunst der Begleitung, des Erhebens und Tragens erweisen. Da waltet wo nötig angemessene Vorsicht im zarten Motivgeflecht aus Beziehungen und seelischen Regungen, da gibt es den Ausbruch massiver und schroffer Emotionen, die den privaten Raum überschreiten. Die neue Dresdner „Tosca“ vereint zudem ein Ensemble von Solisten, dem ausnahmslos höchste Anerkennung gebührt. Da sollen unbedingt die zu genauem Spiel geführten Darsteller der Partien des Spoletta, des Sciarrone und des Schließers, Timothy Oliver, Peter Lobert und Rolf Tomaszewski, Bastian Bartsch als junger Hirte, genannt sein. Lucio Gallo, ein Scarpia aus Leidenschaft mit erregendem Gesang, eisige Töne ebenso wie glutvolle aus unbeherrschbarer Leidenschaft und schlürfender Gier. Aleksandr Antonenko, mit erwärmend dunkel getöntem Tenor, elegant aufsteigend in strahlende Höhen, ein Cavaradossi, der die Sterne blitzen lässt.
In der Titelpartie, zur Generalprobe erst „eingesprungen“, Chiara Taigi. Dass sie die Premiere gerettet habe wäre untertrieben, die wunderbare Sängerdarstellerin aus Rom lässt von Beginn an die Herzen höher schlagen. Gesang und Spiel in seltener Einheit, Naivität, Größe, Verzweiflung, lyrische Zärtlichkeit und glühende Leidenschaft weiß sie authentisch zu gestalten. Leuchtende Bögen der Melodik, verspieltes Parlando, trotzige Deklamation, veristische Melodramatik. Kurzum, Triumph für „Tosca“ auf der ganzen Linie.
Boris Michael Gruhl
Eine Textfassung des Artikels ist am 2. Februar in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.
Nächste Aufführungen: 3., 6., 8., 11., 16. Februar, 4. Juli