"Erinnerung an einen fernen Klang…" Luisi dirigierte das Gedenkkonzert in der Semperoper (Foto: M. Creutziger)
Auf dem Weg ins Gedenkkonzert geht es vorbei an einer schier unendlichen Kette frierender Polizisten, an Wasserwerfern und Räumpanzern – alle in gespenstischer Stille wartend. Was für ein Auftakt für Giuseppe Verdis "Requiem"!
Das Werk kam dann quasi aus dem Nichts; die Streicher lieferten nicht mehr als eine ganz ferne Erinnerung an einen Klang, der Chor raunte die Worte beinah unhörbar: "Gib ihnen die ewige Ruhe, und das ewige Licht leuchte ihnen"… Krasse Gegensätze prägten die Interpretation der so oft gehörten Totenmesse. Fabio Luisi vermochte es, die lyrischen und die dramatischen Momente des Stückes charakteristisch auszuformen, ohne dass das auch nur an einer Stelle opernhaft gewirkt hätte. Staatskapelle, Opernchor und der Sinfoniechor Dresden, einstudiert von Ulrich Paetzholdt, musizierten exakt, und zwar vom winzigsten Pianissimo bis die wuchtig krachenden Schläge des "Dies irae" hinein. Die sorgfältige, für den Semperoper-Raum fast etwas zu pointierte Artikulation der Chöre machte es am Freitag immerhin möglich, die großen Chorfugen des "Sanctus" und des "Libera me, domine" in einem Tempo zu musizieren, das einen Tag später im Konzert in der Frauenkirche wohl nur als halsbrecherisch hätte gelten können.
Leider waren bei drei der vier Solisten – unter anderem bei dem kurzfristig eingesprungenen Tenor Zoran Todorovich – leichte stimmliche Unpässlichkeiten nicht zu überhören. Kraftvoll präsentierte sich wohl jeder im Introitus, allein ließ die Leistung der Männerstimmen (Bass: der imposante Paata Burchuladze) mit dem Fortgang von Sequenz, Offertorium und "Lux aeterna" nach. Nur die Sopranistin Anja Harteros bewahrte sich einen berückend schönen, wandlungsfähigen Ton bis in die höchste Höhe des Responsoriums (mit dem bekannten "Requiem"-Oktavsprung des "Libera me", der oft genug direkt ins sängerische Nirwana führt). Gemeinsam mit der Mezzosopranistin Marianne Cornetti, die am Freitag ihren sängerischen Einstand in den Konzerten der Staatskapelle gab, gelang ihr mit dem "Agnus Dei" ein einfühlsames Duett, das der Chor mit schlankem Ton untermalen half. Mit den erwähnten kleineren Abstrichen lieferte auch Zoran Todorovich, der in Dresden u.a. in "Carmen", "Don Carlo" und "Tosca" zu erleben ist, ein stilistisch schlüssiges Konzertdebüt, zeichnete etwa im Offertorium bewegende Bilder vom "König der Herrlichkeit".
Bewegend war dann auch die inzwischen traditionelle Übereinkunft zwischen Musikern und Publikum, des Schicksals der Stadt in einer Schweigeminute zu gedenken. Später noch eine barsche Ausweiskontrolle durch einen missmutigen bayerischen Ordnungshüter; die Gegend um die Neue Synagoge glich da schon einer blaulichtbeschienenen Festung. Woran werden wir uns wohl erinnern, wenn wir an den 13. Februar 2009 zurückdenken?
Martin Morgenstern
Der Artikel ist am 17. Februar 2009 in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.