Der neue Herr der kleinen szene – Maik Hildebrandt (Foto: M. Creutziger)
Vor zwanzig Jahren stand der Dresdner Solotänzer Maik Hildebrandt selbst auf der kleinen szene in der Bautzner Straße. „Tasten-Tanz-Spiele“ hieß die Produktion für Kinder, an
die er sich gut und gern erinnert. Und bei den Erinnerungen kommen wir natürlich schnell auf die erfolgreichen „Kontraste-Abende“, bei denen es um Experimente und ungewöhnliche Gegenüberstellungen choreografischer Arbeiten ging. Und dann der Erfolg, „The Wall“ erreichte so etwas wie Kultstatus.
Als Tänzer hat Maik Hildebrandt die Atmosphäre in dem gut proportionierten Raum geschätzt, wiewohl die Situation eine enorme Herausforderung ist. Die Wahrnehmung, bei den Ausführenden und bei den Zusehern ist gänzlich anders als auf der großen Bühne. Die Leute sehen alles, man selbst aber auch, das heißt eben auch dass sie lächeln, interessiert und gespannt sind, oder auch nicht.
Die Dresdner kleine szene als Spielstätte der Sächsischen Staatsoper gibt es in diesem Jahr seit 20 Jahren. Das Haus auf der Bautzner Straße 107, 1890 villenartig erbaut, damals Schillerstraße 17, wurde bekannt als „Rhythmische Bildungsanstalt“ der Tänzerin Mary Wigman, die Schule für ihre spezielle Prägung des deutschen Ausdruckstanzes. Hier hat auch Gret Palucca gelernt, als sie nach 1945 für den Neubeginn Ihrer Schule ein Quartier brauchte, bot man es ihr an, sie hatte andere Vorstellungen. Mary Wigman hatte 1942 Dresden verlassen, das Haus wurde im Krieg zerstört, dann wieder aufgebaut und war fortan Probebühne des Balletts.
1989 wurde die kleine szene offiziell eröffnet. „Marsyas oder Der Preis sei nichts Drittes“ war die erste Uraufführung, der etliche Kammermusikproduktionen, genreübergreifende Soloabende und Tanzproduktionen folgten. Die kleine szene für das Experiment, für den Mut der Talentproben, wie Diplomarbeiten der Palucca Schule und derzeit auch der Stipendiaten des Tanzplanprojektes oder der Raum für intime Formen des musikalischen Theaters, die schon anderswo erfolgreich waren. Zeitweise hatte man aber auch den Eindruck, großes Interesse bestehe seitens der Opernleitung nicht an diesem Ort, einen richtigen Dornröschenschlaf gab es zwar nicht, aber die Prinzen kamen auch nicht tatendurstig daher.
Jetzt ist Maik Hildebrandt für diese Spielstätte in Übereinkunft mit dem Intendanten und der Dramaturgie künstlerischer Disponent. Nach kurzer Bedenkzeit nahm er das Angebot an, um sich der Herausforderung zu stellen, natürlich mit dem Anspruch, das Haus zu beleben, es gastlich und einladend zu gestalten. Immerhin, neue Farben sind schon an den Fenstern, der Empfang ist freundlich, es gibt eine kleine Bar, der Zuspruch seitens des Publikums ist gut. Jetzt geht es ihm darum, innerhalb gewachsener Strukturen Neues zu probieren, auch stärker die die Kinder- und Jugendarbeit zu profilieren, „Kapelle für Kids“ ist inzwischen mehr als ein Anfang, kann aber nicht alles sein.
Derzeit laufen die Proben für die Uraufführung „Zueinander“, einer Szenenfolge für drei Personen des Dresdner Komponisten Jörg Herchet, am 6. März. Carola Schwab, die langjährige Solotänzerin, ist dabei, was sicher Freunde ihrer Kunst freut. Ebenfalls im März, am 27., gibt es die nächste Uraufführung, „Die Anderen“, fünf Choreografien in einer Kooperationsarbeit der Dresdner Kunsthochschulen. Am 9. April geht der Chef selbst auf die Bühne: mit Ana Merkulova vom Dresden Semperoper Ballett und der Percussiven Spielvereinigung lädt Maik Hildebrandt zu einem Improvisationsabend ein, und er freut sich, hoffentlich gemeinsam mit den Dresdnern, dass am 17. Mai Anna Huber gastiert. „Klavier mit Stück“, heißt ihr Stück.
Maik Hildebrandt, zum Ende der letzten Saison nach zwanzig Jahren offiziell aus dem Ballettensemble verabschiedet, kam als 10jähriger aus Gotha nach Dresden an die Palucca Schule. Vom klassischen Tanz hatte er wenige Vorstellungen. Der Folkloreunterricht hatte es ihm zunächst angetan, und natürlich die Stunden mit der „Meisterin“. Wie produktiv die Improvisationsanregungen mit Gret Palucca waren, bzw. noch immer sind, kann erst der erwachsene Tänzer nach und nach begreifen. Ihre Wirkung, in der Herausforderung, das Ungewöhnliche zu probieren, bleibt bestehen. Aber damals hat man auch gekichert, besonders wenn die Chefin mitmachte. Und dann ging´s 1988 von der Schule auf die Bühne der Semperoper.
Bei Johannes Böhnig wurde Hildebrandt Solist. 1994 sprang er als Nicaise In „La Fille mal gardée“ mit Bravour ins heitere Charakterfach, ohne darauf festgelegt sein zu müssen, und hatte fortan seinen Platz in den Herzen der Freunde des Balletts. Erinnert sei unbedingt an seinen Puck in John Neumeiers Sommernachtstraumversion. Dazu kommen die interessanten Arbeiten mit Stephan Thoss, die wahnsinnigen körperlichen Ansprüche der Choreografien von Uwe Scholz. Alles zusammen gibt für ihn den Anlass zu gutem Rückblick und Start in den neuen Arbeits- und Lebensabschnitt voll positiver Energien. Überraschungen, Ungewissheit, ganz neue Möglichkeiten inbegriffen, in diesem Sinne ist für Maik Hildebrandt die Zukunft gar nicht dunkel. Tägliches Training ist Pflicht und so ist er, wenn nötig, bereit für den nächsten Sprung.
Boris Michael Gruhl
Eine Textfassung des Artikels ist am 24.2. in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.