Markus Marquardt als Goldschmied, der für seine Schätzchen mordet (Fotos: M. Creutziger)
In Paul Hindemiths erster abendfüllender Oper »Cardillac« ist eine Bearbeitung des E.T.A. Hoffmannschen “Fräulein von Scuderi”-Stoffes vertont. Ein genialer Goldschmied – anerkanntermaßen der “strengste
Meister unter allen” – liebt seine Kunstwerke so sehr, dass er die Käufer derselben systematisch meuchelt, um die Geschmeide wieder heimzuholen. Eine vom König gegründete Sonderkommission, die “brennende Kammer”, soll das Volk beruhigen und den Mehrfachmörder dingfest machen. Cardillac verrät sich am Ende selbst und wird von der wütenden Menge getötet.
“Unwissende jubeln, ahnende zittern.” Die expressionistisch gefärbten, manchmal verrätselten Verse des Librettisten Ferdinand Lion machen schauern, entwickeln in aller Komprimiertheit eine große Kraft. Hindemiths Musik, in der Besprechung der Uraufführung von den “Dresdner Nachrichten” ob ihrer “kakophonen Gesamthaltung” gerügt, emanzipiert sich und damit allgemein die Musik vom Sujet. Es kommt nicht selten vor, dass die Sänger verschiedene Texte gleichberechtigt übereinander singen, was zu einer weiteren ästhetischen Verfremdung der ohnehin aus ganz verschiedenen stilistischen Versatzstücken gefügten Musik führt.
Wo sich der Regisseur der Uraufführung bemüht hatte, “den Bruch, der zwischen hoffmaneskem Text und der nüchtern unromantischen Musik besteht, nach Möglichkeit zu vertuschen” (so die “Dresdner Nachrichten” 1926), stellt sich Philipp Himmelmann mit einer sehr strengen Inszenierung unumwunden auf die Seite der Musik und bedient doch auch die Texte auf sensible Art. Nicht ist hier gegen den Strich der glasklar führenden Musik gebürstet; allenfalls bringt die abstrakte Sichtweise auf bestimmte “Typen” eine gewisse Schwerfälligkeit in der Personenführung mit sich. Die uneitle, fantasievoll mit Renaissance- und Jugendstilelementen spielende Bühne (Johannes Leiacker, Opernwelt-“Bühnenbildner des Jahres 2009”) verortet die Figuren deutlich an Lebensschnittpunkten, macht die psychologischen Mehrdeutigkeiten durch Spiegel und geschickt überlagerte Blickdimensionen sichtbar. Die Kostüme (Bettina Walter) spiegeln den Eklektizismus der Hindemithschen Musik auf etwas seichtere Art wider: vom “Mädchen mit dem Perlenohrgehänge”, das die Frauenröcke ziert und so allzu direkt auf psychologische Subtexte des Librettos rekurriert, bis hin zum Karo-Pullunder-Beamtenlook des Goldhändlers (Michael Eder) sind verschiedene Stilepochen angerissen, ohne die kühle Prägnanz des Bühnenbildes zu erreichen.
Die allzu geschwätzig kostümierten Darsteller werden vom Regisseur auf der fantasievollen Bühne mit Hintersinn verortet
Bis auf ein leichtes Schleppen in den streng rhythmischen Sequenzen des ersten Bildes liefert im Übrigen der von Ulrich Paetzholdt einstudierte Chor eine stimmige, zu Recht extra beklatschte Gesamtleistung ab; die Staatskapelle widmet sich den neoklassizistisch-freundlichen bis atonal-bissigen Klängen hingebungsvoll, jedoch mit einigen Intonationsschwächen besonders in Szenen, die hinter der Bühne musiziert werden. Fabio Luisi dirigiert flüssig, fügt geschickt die Handlungsfäden und lenkt die Geschehnisse mit Blick für den Gesamteindruck der von Spannungsführung und Dauer etwas unglücklich angelegten vier Bildern. Bravi und durch eine leicht ungeschickte Applausdramaturgie gerade herausgeforderte, aber nicht unverdiente stehende Ovationen belohnten Regieteam, Ensemble und sämtliche Solisten. Sehr schade, dass die Oper nach weitere Aufführungen am 18., 21. und 23. März (jeweils 19 Uhr) für ein Jahr erst einmal wieder vom Spielplan verschwindet. Die stimmige Neuinszenierung des an sich hochspannenden Stoffes in all seinen Brüchen und offenen Fragen, was Menschenführung und -verführung betrifft, hätte häufigere Aufführungen und ein größeres Publikum redlich verdient.
Martin Morgenstern