Von wegen Symbiose – “Kritiker sind Parasiten”, schnaubte der Dirigent (Foto: F. Höhler)
Sie stehen in einer großen Tradition von musizierenden Vätern und Söhnen – bei Familie Bach, Mozart oder Strauß war es nicht anders: Gennadi
und Sascha Roschdestwenski. Der Name des Vaters war 13 Jahre lang verknüpft mit einem der besten Orchester der ehemaligen Sowjetunion: Gennadi Roschdestwenski war von 1961 bis 1974 Chefdirigent des Rundfunk-Sinfonieorchesters der UdSSR und leitete die dortigen Erstaufführungen von Werken Orffs, Hindemiths, Bartóks und Ravels. Ab 1964 war er außerdem Künstlerischer Leiter des Bolschoi-Theaters. In Dresden konzertiert er heute und morgen mit seinem Sohn, dem Geiger Sascha Roschdestwenski. Zusammen sind sie mit Glasunows Violinkonzert zu erleben. Außerdem auf dem Programm: Schostakowitschs 1. Sinfonie und seine Filmmusik-Suite „Fünf Tage – fünf Nächte“. Auf Kritiker ist Vater Roschdestwenski jedenfalls momentan gar nicht gut zu sprechen. Was mag da passiert sein?, fragte sich Martin Morgenstern nach dem Gespräch in der Dirigentensuite.
Maestro, es scheint mir, als ob Musiker in Russland gesellschaftlich noch immer einen hohen Status haben. War Musik zu Sowjetzeiten eine Art Ersatzreligion?
Ich stimme Ihnen darin zu, dass man die Kultur in einer gewissen Weise als eine Art Religion betrachten kann und sollte. Sobald man aufhört, an die Religion oder die Kunst zu glauben, wird sich die Menschheit in einen Haufen wilder Leute verwandeln. Vielleicht wird es eines Tages soweit sein – aber wir tun alles dafür, das es nicht soweit kommt.
Haben die Menschen in St. Petersburg oder Moskau noch einen anderen, vielleicht tieferen Zugang zur klassischen Musik?
Ich hoffe es. Trotzdem: soweit ich mich zurückerinnere, konnte die klassische Musik nie mit der Unterhaltungsmusik konkurrieren. Man muss diese Musik mitleben, man muss sich einfühlen; es genügt nicht, sich rhythmisch dazu zu bewegen.
Wie sieht es eigentlich mit Musikkritik in Russland aus? Bei einem Besuch vor einigen Jahren konnte ich überhaupt keine tagesaktuellen Musikkritiken in der Zeitung entdecken.
Es gibt schon Rezensionen, aber die haben überhaupt keinen Bezug zur Musik, zur Kultur, und insgesamt sind sie von außerordentlich schlechter Qualität. Leider ist die Zeit vorbei, wo man Musikkritiken etwas entnehmen, wo man als Künstler etwas aus ihnen lernen konnte. Sie können meine Arbeit zensieren, aber sie können sie nicht einschätzen.
Ich hoffe, dieses Bild lässt nicht überall auf der Welt aufrechterhalten.
Ach was, die Situation ist im Westen ganz genau so schlecht. Es ist hoffnungslos. Oftmals werden einfach Auszüge aus den Programmheften abgeschrieben. Es wird ohne Herz, ohne Verstand, ohne Einfühlungsvermögen geschrieben. Ich frage mich: was bringen solche Rezensenten der Kunst? Nichts. Sibelius hat richtig bemerkt: “Ich habe noch nicht einmal ein Denkmal eines Kritikers gesehen.”
Lassen Sie mich dennoch die Kollegen gegen allzu pauschale Verurteilungen schützen. Ist es nicht so, dass Kritikerdoyens wie Marcel Reich-Ranicki oder Joachim Kaiser den Dialog um Kunst nach dem Krieg wesentlich mitgeprägt…
Joachim wer? Ach wissen Sie, wir sollten Kritiker nicht mit Künstlern gleichsetzen. Ein Kritiker lebt vom Tun der Künstler, und zum Schluss bewirft er sie mit Schmutz. Da ist ein Austausch, sagen Sie? Ich brauche keine Kritiker. Aber wenn ich aufhöre, mein Amt auszuüben, bleibt er ohne Brot und Wasser.
Na gut. Vielleicht haben Sie ja Gelegenheit, nach ihren Konzerten ein paar Kritiken zu lesen… “Wenn der Vater mit dem Sohne…” sind die Abende in Dresden überschrieben. Wie lebt es sich in einer Familie mit lauter Musikern? Ist es nicht furchtbar, vom eigenen Vater zurechtgewiesen zu werden?
Furchtbar, ja. Mit Familienmitgliedern aufzutreten, ist nie einfach; jeder Fehler wird unters Mikroskop gelegt. Manchmal sagt man sich: das war das letzte Mal! Aber dann macht man doch weiter… Mit meinem Sohn Sascha habe ich einen Grundsatz entwickelt: jegliche Kritik, die wir aneinander üben, soll ohne irgendein Vorurteil sein. Es soll ehrlich sein, und weiterhelfen. Wir haben Vertrauen zueinander, und das ist ganz wichtig.
Sie proben sehr effektiv und haben offenbar eine festgefügte Auffassung von dem Werk, das Sie einstudieren. Ist die Interpretation vom Ort der Aufführung, vom Orchester abhängig?
Ort und Zeit spielen bei der Interpretation unbestritten eine Rolle. Und es gibt dieses Ideal, das einem vorschwebt. Aber es gibt vor Ort immer genügend Gründe, die ihm entgegenstehen.
Ändert sich so ein Ideal über die Jahre, lassen Sie sich von aktuellen Rezeptionsvorlieben und ähnlichem beeinflussen?
Die Idealvorstellungen verändern sich, aber sie werden immer schwieriger erreichbar. Man hat immer höhere Ansprüche an die Vollkommenheit der Ausführung. Ich erinnere mich da an eine Anekdote. Ein Mann kommt nach Hause und fragt seine Frau: “Was ist das der Horizont? Schau mal im Lexikon nach.” Die Frau guckt nach: “Der Horizont ist eine imaginäre Linie, die sich immer weiter entfernt, desto weiter man auf sie zugeht. Warum fragst du?” “Nun, ich habe gerade dieses Seminar und wir versuchen die Frage zu klären, ob der Kommunismus schon in Sichtweite ist…” Verstehen Sie? Das ist das Gleiche mit der Musik.
7. Zyklus-Konzert der Dresdner Philharmonie
Sa 18./ So 19.04.2009, 19.30 Uhr
Festsaal des Kulturpalastes am Altmarkt
Das ausführliche Interview folgt demnächst auf www.klassik.com.