Können Ostern und Pfingsten auf einen Tag fallen? Beinahe. Wenn Collegium 1704 (Foto: PR) & Collegium Vocale 1704 aus Prag in Dresden am Sonntag vor Pfingsten Händels Auferstehungsoratorium aufführen.
Mein Gott, was haben wir denn eigentlich
zu lange Zeit für Händel halten müssen. Satte, kräftige Streicher, getragene Tempi, gediegene Stimmen, nicht selten wurden Tremoli stabiler Damen für Triller ausgegeben. Der Händel war heilig, so unnahbar, dass er eigentlich gestorben war unter den schwerwiegenden Aufführungspraktiken ehrenwerter großer Sinfonieorchester samt Massenchören.
Dann kamen die Originalklangapologeten. Sie wurden belacht. Dann kam eine regelrechte Bewegung, die der Alten Musik. Die Lacher wurden weniger, dafür wurde das Repertoire an barocker Musik immer spannender und vielfältiger. Wir erlebten eine Auferstehung nach der anderen, und je undogmatischer musiziert wurde, desto stärker wehte der Geist der Freiheit von den Podien, aus den Kirchen, und bald auch aus den Theatern und Opernhäusern, wo längst tot geglaubte Stücke manchem Dauerbrenner des klassischen Repertoires den Anspruch auf ewiges Leben streitig machen.
Jetzt, zum Abschluss der diesjährigen Frühjahrsserie des Projektes Musikbrücke Prag-Dresden, führten die Mitglieder des Collegium 1704 & Collegium Vocale aus Prag, mit Solistinnen und Solisten, in der Dresdner Annenkirche Georg Friedrich Händels „La Resurrezione“ (HWV 47), ein lange vergessenes Werk seiner Zeit in Italien, auf. Ein wahrhaft von südlicher Sonne durchglühtes Werk, opernhaft und allegorisch, dramatisch in Arien, Duetten, vor allem accompagnierten Rezitativen, die mitunter zu Szenen werden mit bis zu drei Beteiligten.
Aber auch die kontemplativen Momente fehlen nicht, innige Betrachtungen, und hier als Höhepunkt die Sopranarie der Maria Magdalena „Per me già di morire“ mit der überirdisch schön konzertierenden Instrumentengruppe aus zwei Flöten, Oboe, Violine und Viola da gamba. Wer noch nicht wusste, was das ist, himmlisches Musizieren, erfuhr es spätestens bei dieser Passage des knapp zweistündigen Werkes, das nach höchstens einer empfundenen Stunde vorbei war. Tatsächlich aber bescherten uns die musikantischen Künstler des Prager Ensembles unter der Leitung ihres Chefs Václav Luks, dessen Qualitäten längst europaweite Anerkennung erfahren, zwei prall gefüllte Stunden voller lebensfrischer, diesseitiger Spiritualität.
Inhaltlich, frei angelehnt an die Osterberichte der Evangelien, erleben wir unterschiedliche Arten der Betrachtung der Ereignisse am Ostermorgen aus der Sicht der beiden Frauen Maria Magdalena und der Frau des Kleophas, Sopran und Alt, den Protest des Basses Luzifer in seiner Schmach als Verlierer, im Gegenüber mit dem sieghaft strahlenden Engel im Sopran und der Trauer des Lieblingsjüngers Johannes die sich unter den Strahlen der aufgehenden Sonne in Freude verwandelt. „Ecco il sol“, eine raffinierte Tenorarie, skandiert von zunächst bedrohlichen Figuren tiefer Streicher. Luks versteht es mit dem Orchester, dem solistisch besetzten Chor der vier Damen und vier Herren, sowie einem erlesenen Solistenensemble, im Wechsel vielfältiger Instrumentalisierungsformen des Werkes, ein sinnlich spannendes Hörerlebnis zu inszenieren, dessen üppige Farbenpracht aus raffinierten Klangmischungen erblüht.
Händels Partitur ist ungewöhnlich reich an solistischen Aufgaben für Flöten, Oboen, Violine, Viola da gamba und Theorbe. Den Gesangssolisten hat er kleine Wunderwerke in die geläufigen Kehlen geschrieben, so wirk- und wundersam, dass er einige davon in seinen Opern „Agrippina“ und „Rinaldo“ noch einmal verwendete. In der Dresdner Aufführung, am Sonntag vor Pfingsten, mit den Sopranistinnen Hana Blazíková und Katerina Knezíková, der Altistin Mariana Rewerski, dem Tenor Eric Stoklossa und dem Bass Lissandro Abadie, sprüht das Osterfeuer helle Freudenfunken. Und nach dem überaus herzlichen Applaus, zur Wiederholung des Finales, mit Pauken und Trompeten, sollen doch tatsächlich helle Feuerflammen über den Häuptern der Musiker und Sänger und ganz sicher über dem des Dirigenten sehr hell und fröhlich züngelnd erschienen sein.
Im Herbst wird wieder eine Musikbrücke in die barocke Blütezeit der Städte Dresden und Prag führen.
Boris Michael Gruhl