Prägnanter musikalischer Gestalter: Helmut Branny (Foto: M. Creutziger)
Es geht also doch! Mit der Überwölbung des Kleinen Schlosshofes im Dresdner Schloss ist eine neue Spielstätte gefunden worden, die Intendant Jan Vogler sogleich für die Musikfestspiele genutzt hat.
Es ist mollig warm drin, aber man kann lüften, die Licht-Stimmung ist fast südländisch, wenn die Sonne ihren Schein verliert und eine dezente Beleuchtung einen Sternenhimmel andeutet, unter dem sich das Schicksal der byzantinischen Prinzessin Teofane abspielt. Der Klang von Orchester und Solisten entspricht einer Mischung aus Freiluft und geschlossenem Raum und ist anderen Spielstätten in der Stadt wesentlich vorzuziehen: hier verschwimmen keine Instrumentalfarben, hier nimmt man mit Vergnügen das Ganze ohne sakralen Nachhall wahr. Höchstens die tiefen Continuo-Instrumente waren etwas sehr voluminös, aber das lag weniger daran, dass der Dirigent Helmut Branny hauptberuflich Kontrabassist ist, sondern eher an dem hölzernen Podium, das kräftig Resonanz gab. Die Bogengalerie des Obergeschosses wurde ebenfalls einbezogen. Von dort durften die Trompeten schmettern und die Pauken dröhnen.
»Teofane« ist Antonio Lottis letzte von drei Opern für Dresden, die er zwischen 1717 und 1719 schrieb. Sie ist zugleich die Hochzeitsoper für den Kurprinzen Friedrich August, den Sohn Augusts des Starken, und die musikverständige Habsburger Erzherzogin Maria Josepha. Extra für dieses Ereignis am 13. September 1719 war ein Jahr zuvor Daniel Pöppelmann beauftragt worden, neben dem Zwinger ein neues Opernhaus zu bauen: Bauzeit 12 Monate. Man konnte damals in Dresden sehr rasch bauen!
Als Lotti, damals angesehener Domkapellmeister in San Marco, Venedig, im September 1717 mit seiner Frau, der Sopranistin Santa Stella, dem Kastraten Senesino und dem Geiger Veracini nach Dresden kam, begann für die Hofkapelle eine neue musikalische Zeit. Denn zeitgleich kamen der künftige Hofkapellmeister Heinichen und der künftige Konzertmeister Pisendel von einer Studienreise bei Vivaldi ebenfalls aus Venedig zurück und setzten die neusten musikalischen Erkenntnisse aus Italien um: virtuoses Instrumentalspiel, Pflege des „Gruppenkonzert“-Stils (Abwechslung von Holz- und Blech-Bläsern sowie Streichern), solistische Instrumentalkonzerte u. a. Wenn man zum Beispiel die für Hörner höchst virtuose Sinfonia zu Beginn unter diesem Aspekt hört, wird deutlich, welche hohen musikalischen Anforderungen Lotti an seine Dresdner Musiker stellte: er hatte sie in den zwei Jahren fruchtbarer Zusammenarbeit zu solchen Leistungen erzogen.
Für italienische Sänger war die Virtuosität in jener Zeit Normalität. Die venezianische Oper hatte seit 1637 unaufhörlich an ihrem Stiel gefeilt und, ähnlich der neapolitanischen Oper, einen standardisierten Typus sowohl vom Libretto als auch von den musikalischen Formen erarbeitet. Die Komponisten beriefen sich auf ein System der musikalischen Darstellung von Affekten, deren Vielfalt alle Leidenschaften zum Ausdruck bringt. Lottis »Teofane« ist da keine Ausnahme. Es geht um den bedrängten, aber am Schlusse allen Konkurrenten, Verrätern und Intriganten milde verzeihenden Herrscher (Ottone, kurzfristig von Andreas Taubert übernommen) und seiner drei Akte lang gefährdeten Liebe zu Teofane (Jutta Böhnert). Auf der Gegenseite ein ebenso ausgezeichnetes Ensemble mit Tamara Gura (Gismonda), dem Sopranisten Robert Crowe (Adelberto, mit schwindelerregender Höhe), Matilda (Britta Schwarz) und dem ebensfalls kurzfristig verpflichteten Chrisian Zenker als Isauro. Der Deutlichkeit ihrer Interpretation war das Drama abzulesen, ohne dass man den verwickelten Intrigen hätte immer folgen können.
Die Partitur in ihrer Farbigkeit, prägnanter musikalischer Gestaltung und ihrem Abwechslungsreichtum ließ die knapp drei Stunden währende Aufführung an keiner Stelle langatmig werden. Dies ist Helmut Branny, der sicher durch das ganze Stück führte, und den Dresdner Kapellsolisten zu danken, die uns diese Partitur in höchstem Maße lebendig werden ließen. Die Begleitung der handlungstragenden Recitative durch Jobst Schneiderat (Cembalo), Stefan Maas (Laute) und Andreas Priebst (Violoncello) trug die Sängerinnen und Sänger mit viel Delikatesse durch alle Verzweigungen des Dramma per Musica. Auf das sehr instruktive Programmheft mit dem erhellenden Beitrag von Carsten Niemann sei hier ausdrücklich verwiesen.
Eine erfreuliche Premiere, nicht nur als eine Wiederaufführung nach 290 Jahren, sondern als eine gelungene Erprobung einer Spielstätte. Damit ist der Kleine Schlosshof nicht nur Treffpunkt von Besuchern und Kassenort der Schlossmuseen, sondern eine ausbaufähige Spielstätte für Musik und darstellende Künste, wie es sich für ein Schloss als Monument der Geschichte und Kultur ziemt. Die Veranstalter sollten weitere Pläne entwickeln: so eignen sich die Bogengänge wunderbar z. B. für mehrchörige Musik des 16. und 17. Jahrhunderts – hier gibt es genügend Literatur, man müsste sie nur aufführen…
Reiner Zimmermann