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Die Stille nach dem Ton – René Papes Debüt als Liedsänger ist ein Ereignis

Samtene Klangfarben, jähe Umbrüche: René Pape (Foto: Lenny’s Studio)

Mit einem kleinen Umweg über London, wo er seine Interpretation der Rammsteinlieder „Mein Herz brennt“ vorstellte, kommt René Pape von seinem New Yorker Debüt als Liedsänger aus

der Neuen Welt zu den Dresdner Musikfestspielen. In der Neuen Welt präsentierte der Sänger ein Programm aus dem alten Europa, und so wie wir jetzt die Gestaltung dieser Lieder von Schubert, Wolff und Schumann im Dresdner Schauspielhaus erlebten, ist es überhaupt nicht übertrieben davon zu sprechen, dass wir sie allesamt wahrhaft neu gehört haben dürften.

Üblichen Erwartungen widersetzt sich der Sänger ohnehin, der als Bassist nicht zu den Vertretern jener Stimmfächer gehört, die die Podien des Liedgesanges beherrschen. Das sollte sich ändern. Sein Dresdner Debüt setzt Maßstäbe. Es geht hier weder um die Präsentation technischer Raffinessen, noch um besonderes Verblüffen durch Einfärbungen der Stimme oder ähnliche Mittel, die gerne als besondere Kunst des Liedgesanges ausgegeben werden. Der Sänger ist ausgesprochen direkt in seinem Gesang, Melodik und Inhalt sind nicht zu trennen, die persönliche Verbundenheit mit dem jeweiligen Lied befördert den authentischen Klang, mit dem er durchweg zu überzeugen weiß.

Zu Beginn drei Lieder von Franz Schubert aus „Schwanengesang“, dem „Aufenthalt“ folgt ohne jeden Anklang von Sentimentalität „Ständchen“. Vielleicht ist es den Vertretern der tiefen, dazu so facettenreich dimensionierten Stimmen vorbehalten, einem Lied wie „Der Atlas“, mit Heinrich Heines Text, auch wirklich das überzeugende Maß an Gewichtigkeit zu verleihen. Bevor der erste Teil mit sieben weiteren Liedern von Franz Schubert fortgesetzt wird und ausklingt, darunter „An die Musik“, „Heidenröslein“, „Der Musensohn“ oder das als dramatische Szene unter Hochspannung interpretierte Lied „Prometheus“ nach Goethe, eine wahrhaft festspielwürdige Gabe. René Pape singt „Drei Lieder nach Gedichten von Michelangelo“ von Hugo Wolf. Der Sänger kennt keine Vorsicht. Er begibt sich in die konfliktgeladenen Situationen der autobiografisch gefärbten Texte, die in Verbindung mit Wolffs aufwühlender Melodik, ob der so schutzlos individuellen Klanggewalt des Sängers die Zuhörerschaft beglücken. Es ist – so widersinnig es klingen mag – unverdientes großes Glück dabei zu sein, wenn dieser Mann vom Unglück singt.

Er tut es nicht allein. Bei Camillo Radicke von purer Begleitung zu sprechen wäre mehr als ungerecht. In diesem Künstler hat der Sänger einen mitfühlenden und vor allem mit atmenden Partner. In der Kunst des Begleitens und des Mittragens ist der Pianist groß, aber noch größer vielleicht darin, wie er eigene Akzente setzt, wie er ausklingenden Passagen nachsinnt, wie er der Stille nach dem Ton des Sängers noch eine Zeit des Nachwirkens eröffnet und die Zuhörenden einbezieht.

Und dann, nach der Pause, Robert Schumanns Zyklus „Dichterliebe“, 15 Lieder auf Gedichte von Heinrich Heine. Hier sind es die gebrochenen Töne, die samtenen Klangfarben, die jähen Umschwünge ins Aufbegehren, die Situationen der Einsamkeit, denen der Sänger seine kraftvoll stark dimensionierten Töne gibt, aber vor allem die noch stärkeren, wenn er in den leisen Passagen jener Stimme folgt, die direkt aus dem zerrissenen Herzen kommt. Viele Varianten für die alte Geschichte von den zerbrochenen Herzen lässt der Sänger anklingen, und seine dunklen Klänge die er für Träume und Tränen, für romantische Ironie, für Sehnen und Verlangen, für Glück und Unglück hat, lassen das Publikum lauschen und in schönster Übereinkunft gänzlich still werden. Wir ahnen am Ende wohl noch stärker als im ersten Teil des Abends, was solch holde Kunst vermag und danken ihr dafür.

Boris Michael Gruhl

Eine Druckfassung des Textes ist in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.

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