Die Musikfestspiele strebten ihrem Höhepunkt zu… Zur Camerata Bern (Foto: PR) gesellten sich dazu Jan Vogler und Juilliard Dance.
Weil das Schloss noch nicht wieder bespielbar war verlegten die Musikfestspiele das Programm „Musik und Tanz
im Schloss“ in die Gläserne Manufaktur von Volkswagen
Das Ambiente stimmt. Die Bedingungen sind nur bedingt günstig. Die Klimaanlage brummt und die Sichtverhältnisse sind ab der fünften Reihe schon bescheiden, am Rand klickern Fotografen mehr oder weniger sensibel; und um wirklich etwas zu haben von den rasanten Darbietungen der exzellenten Nachwuchstänzerinnen und Tänzer der Juilliard School aus New York, stellte man sich lieber selbst an den Rand.
Aber jetzt kein kritisches Wort mehr. Der Abend war einfach toll. Von solchen Programmen, von solchem Charme der Darbietung, kann es in Dresden, insbesondere im Rahmen würdiger Festspiele, gar nicht genug geben. Es geht doch wunderbar, die Stile zu mischen, das Publikum anzusprechen, zu unterhalten auf höchstem Niveau und niemanden aufgrund vorhandener oder nicht vorhandener Kenntnisse über Klassik, Traditionen usw., zu bevorzugen oder bloßzustellen. Es zeigt sich zum Ende dieses Jahrganges der Musikfestspiele immer deutlicher: Jan Vogler tut Dresden gut.
Bevor er wieder selbst sein so beherztes wie kantables Cellospiel präsentierte. eine kleine Moderation. Schon da springt der Funke über, bei seinem Spiel erst recht. Gemeinsam mit der Camerata Bern, dem renommierten Kammerorchester ohne Dirigenten, erfreute Vogler das Publikum mit zwei Cellokonzerten. Eventuell, so Vogler, handle es sich bei der Aufführung des Werkes in D-Dur von Johann Adolf Hasse um eine Dresdner Erstaufführung, und eventuell, bei dem kurzfristig wieder ins Programm genommenen Konzert in A-Dur von Carl Philipp Emanuel Bach um das schönste vor dem Joseph Haydns. Und wer wollte dem Künstler nicht Recht geben, denn der Schönheit des Stückes vom Bachsohn, das aufwühlende, pochende Momente der Ruhelosigkeit aufweist, wunderbar kantable, ruhig dahin fließende Passagen im Wechsel des Soloinstruments mit den Streichern dagegen setzt, kann man sich schwer entziehen.
Die musikalische Kommunikation des Solisten mit dem Kammerorchester fesselte zudem in optischer Weise. Hier wird mit Lust und Hingabe musiziert, die Emotionen haben Raum. Vielleicht kündigt sich in der eingangs aufgeführten Sinfonie für Streicher Nr. 9 in C-Dur von Felix Mendelssohn Bartholdy der Schöpfer späterer Geniestreiche an, wir vernahmen schon mal in der ausgezeichneten Wiedergabe durch die Damen und Herren der Camerata, wie erfrischend es sein kann zuzuhören, wie sich ein großes Talent an musikalischen Formen und Techniken seiner barocken und klassischen Vorgänger entlang entwickelt.
Kein Vielleicht, in keiner Weise, aber das große Staunen, die helle Freude und der Wunsch auf baldiges Wiedersehen, bei der abschließenden Begegnung mit den jungen Tänzerinnen und Tänzern der New Yorker Juilliard School. Juilliard Dance, das ist Tanzlust pur. Immerhin beginnt der Auftritt mit der Choreografie „The Fugue“ von keiner geringeren als Twyla Tharp, von Bach inspiriert, aber ohne Musik, dem klangrhythmischen Gespür der drei Tänzer vertrauend, baut sich dieses Bewegungsarchitektur in beständigem Geben und Nehmen auf. Fallen, Drehen, Springen, Elemente des Stepp-Tanzes, flinke Wechsel der Temperamente, Neoklassik und Show. Twyla Tharp hat mit Baryshnikov gearbeitet und auf ihr choreografisches Konto gehen Welterfolge wie die Filme „Hair“, „Ragtime“ und „Amadeus“. Gerade hat sie ihr Deutschlanddebüt gegeben und zum Abschied von Martin Schläpfer in Mainz mit dessen Ballett einen Erfolg choreografiert.
Zum Abschluss Ausschnitte aus Ohad Naharins Choreografie „From MAX and TREE“, mit allen 25 Mitgliedern der Truppe, die Jan Vogler nach Dresden eingeladen hat. Was ist Etüde, was ist Vorgabe, was ist Improvisation, was ist gezählt, was ist gereimt? Die Energie der Bewegung, die bei Naharin, Chef der berühmten Batsheva Dance Company Aus Tel Aviv, wie „explosive Energie aus dem Körper schießen“ soll, in rasanter Abfolge immer neuer Passagen von unterschiedlicher Länge, immer der Individualität der jeweils Tanzenden entsprechend, rollt wie eine erfrischende Woge vom Podium direkt zu den Zusehenden, die es zum beträchtlichen Teil auch gar nicht mehr auf den Sitzen hält. Und als Zugabe, zum Beschluss, weil man ja bekanntlich gehen soll, wenn es am schönsten ist, entlässt uns Vogler mit einem wunderbaren Geschenk. Zu seinem Cellospiel improvisieren die Tänzerinnen und Tänzer. Noch einmal das große Vergnügen der Korrespondenz, die Verblüffung der ungeahnt weiten Skala an Möglichkeiten der Körpersprache und vor allem die Feier der Achtsamkeit in so zärtlicher Symbiose, wie sie wohl nur der Musik und dem Tanz möglich ist, vor allem in so herzlicher Freiheit.
Boris Michael Gruhl