Foto: KassKara
Mit einem Eröffnungskonzert in der Gläsernen Manufaktur hat heute morgen der siebzehnte Jahrgang des Moritzburg-Festivals begonnen. Martin Morgenstern hat aus diesem Anlass mit dem künstlerischen Leiter, dem Cellisten Jan Vogler, gesprochen.
Zurück aus New Yorks Yachtclub, in dem Moritzburg-Künstler letztes Jahr ein Konzert mit Tangomusik gaben, an den einzigen echten Leuchtturm Sachsens… Gibts Neuerungen, oder alles in bewährter Manier?
Moritzburg hat inzwischen eine ganz klare Prägung: Solisten aus aller Welt kommen zusammen und proben ausschließlich hier in der Moritzburger Idylle für die gemeinsamen Konzerte. Die sehr internationale Zusammensetzung der Musiker, die wunderbaren Proben- und Aufführungsorte hier in Moritzburg und in Dresden – all das sind konstante Faktoren. Dazu gibt es aber in jedem Jahr neue Künstler, neue musikalische Schwerpunkte. In diesem Jahr liegt der Focus vor allem auf den Werken von J. S. Bach. Diese Veränderung braucht das Festival, um die Frische und das Abenteuer des „sich-in-Moritzburg-kennenlernens“ zu erhalten.
Das Moritzburg Festival ist das kleinere, exklusivere Schiff, das Sie – neben den Dresdner Musikfestspielen – als „Kapitän“ steuern. Wer gehört dieses Jahr neu zur Mannschaft?
Es gibt hervorragende neue Interpreten wie die Geigerin Sophia Jaffé, den Bratscher Maxim Rysanov oder den Pianisten Antti Siirala. Aber auch unser diesjähriger Composer-in-Residence ist eine kleine Sensation: John Harbison, der für eine Woche nach Moritzburg kommt, ist in den USA ein Starkomponist, in Deutschland dagegen kaum präsent. Ich habe ihn durch die Arbeit an einem Doppelkonzert, das er für Mira Wang und mich sowie das Boston Symphony Orchestra und James Levine schreibt, kennen gelernt. Als ich ihn fragte, ob er nach Moritzburg kommen möchte, leuchteten seine Augen. Er war vor mehr als 30 Jahren in Berlin Stipendiat der „American Academy“.
Mit an Bord sind erneut auch zwei Sterneköche. Schwer verdaulich ist da nur der Preis für das Gala-Dinner nach dem Konzert. Das muss man sich in Krisenzeiten erst einmal leisten wollen…
Aber überraschenderweise sind gerade die Galen unsere „Bestseller“ und oft wenige Tage nach Vorverkaufsbeginn ausverkauft. Es sind besondere Abende, zu denen auch Gäste kommen, die sich diesen Genuss einmal im Jahr leisten und dafür sicher auf etwas anderes verzichten.
Wie viele Vollstipendien konnte das Moritzburg Festival dieses Jahr vergeben?
Ungefähr 40. Die Moritzburg Festival Akademie, unser Nachwuchsförderprojekt, liegt mir sehr am Herzen, denn hier übertragen wir etwas von der Energie, die uns das Festival gibt auf die nächste Generation.
Spüren Sie als Festival-Leiter wirtschaftlich Veränderungen, etwa in der Zusammenarbeit mit Sponsoren?
Ja und nein. Wir arbeiten mit mehr als 80 verschiedenen Partnern (von großen Unternehmen bis hin zu Privatpersonen) zusammen. Natürlich gab es da einige Förderer, die in diesem Jahr das Festival nicht unterstützen konnten, aber es kamen auch neue Partner dazu und das mitten in der Krise. Mir liegt sehr an einer langen vertrauensvollen und persönlichen Zusammenarbeit mit unseren Sponsoren und die hält auch in schweren Zeiten gut.
Auf dem Plan ist auch die europäische Erstaufführung von „Abu Ghraib“ von John Harbison. Wie politisch darf, ja muss Kunst sein?
Politisch ist Kunst immer, denn sie wirbt meist für persönliche Freiheit, Individualität und Toleranz. Gleichzeitig gibt es da immer noch eine Ebene, auf der sich dann entscheidet, ob es ein großes Stück Musik ist oder nicht. Und diese Ebene ist mit Worten und selbst Inhalten schwer zu fassen. „Abu Ghraib“ ist ein faszinierendes Beispiel. Es ist durch den Titel politisch aufgeladen und spielt dann mit Stimmungen, die eher an ein fast religiöses Plädoyer für Humanität erinnern.
Sie selbst haben fünf Jahre als Solocellist der Staatskapelle Dresden musiziert. Hat man sich damals, etwa auf Tourneen ins nichtsozialistische Ausland, über solche Dinge Gedanken gemacht? Sie waren schließlich – gewollt oder ungewollt – musikalische Botschafter eines Landes…
Das muss man sehr differenziert sehen. In der DDR war das familiäre Umfeld alles entscheidend. Ich wurde in eine Familie hineingeboren, die politisch sehr aufgeklärt war und uns von Kindesalter an geholfen hat, eine eigene politische Haltung zu finden, die – wie oft bei Künstlern – kritisch zum politischen System stand. Gleichzeitig waren wir auf die musikalische Tradition stolz und arbeiteten besonders hart dann auch bei Gastspielen hervorragende Konzerte zu geben.
Mira Wang studierte am Konservatorium in Peking, in einem Land, dessen Regierung in Kaxgar, der Stadt an der nördlichen Seidenstraße, gerade dabei ist, jahrtausendealtes architektonisches Weltkulturerbe zu zerstören. Ihr Kollege Colin Jacobson, Mitglied des „Silk Road Ensembles“, stammt aus dem Land, das das nämliche Abu-Ghraib-Gefängnis nach dem Irakkrieg weiterführte. Tauschen die Musiker/Stipendiaten sich abseits der gemeinsamen künstlerischen Arbeit auch über politische Dinge aus?
Politik spielt immer eine große Rolle bei den Diskussionen, beim Wein oder Bier am Abend. Ich erinnere mich gut an hochinteressante Diskussionen in Vermont beim Marlboro-Festival mit der Familie Solschenizyn. Der Sohn des Bürgerrechtlers war wie ich Musiker beim Festival und wir diskutierten stundenlang über den damaligen Ausbruch des ersten Golfkrieges. Mit Mira Wang geht es hingegen um chinesischen Kommunismus und mit meinen amerikanischen Freunden redeten wir oft stundenlang über die Bush-Politik, heute nun oft sehr positiv über Obama!
Aber eines darf man nicht vergessen: Das Wort Heimat spielt eine große Rolle. So kritisch man auch mit einer politischen Führung seines Herkunftslandes sein kann, man hat eine starke emotionale Bindung an sein Heimatland und das bleibt das ganze Leben.