Die erste CD des kleinen Schubers mag man getrost einem rührseligen Verwandten vermachen. Die romantisierenden, aber für heutige Ohren eben auch etwas klebrigen Bach- oder Vivaldi-Einspielungen David Oistrachs aus den mittleren fünfziger Jahren, die auf der ersten CD versammelt sind, haben heute gerade noch historischen Wert. Aber dann: was ist das? Ein Giftpfeil? Ein hintergründig lächelnd gereichter Cocktail? Mißtrauisch schlürfen die Ohren die zweite CD – und hören erstaunliches.
Seltsam schon der Anfang: Mit einer klagenden, fast spätromantisch anmutenden Melodie werden wir in eine Welt von gestern gezogen; danach beginnt der Kampf der guten Sache, mit Pauken und Trompeten. Ein sprödes Werk ist das. Es zerfällt in Episoden, verweigert sich und reicht dann doch pompös die Hand. Es ist die Hand des Parteigenossen: das Werk ist ein bisher auf CD nicht veröffentlichtes Violinkonzert des Professors für Musiksoziologie, Präsident des Musikrates und des Komponistenverbandes, Vizepräsident der Deutschen Akademie der Künste, Ernst Hermann Meyer. Warum David Oistrach einwilligte, dieses Violinkonzert 1965 in der Berliner Christuskirche einzuspielen, versucht Dirk Stöve im auch sonst aufschlußreichen Beiheft der dieser Tage veröffentlichten Doppel-CD anlässlich des 100. Geburtstages des großen Geigers zu erhellen.
Meyer setzt das Soloinstrument in eine unberechenbare, oft unfreundliche Welt. Da krachen scharf die Blech-Bläser quer, dräuen morgenneblig mißmutige Hörner über einem Streicherteppich, rummst das Schlagwerk… um dann doch Raum zu geben für intimere Momente, dialogische Zeilen mit Klarinette und Querflöte, die David Oistrach wunderbar aussingt. Und immer wieder Kadenzen, allein, suchend, tastend. Was anfangs autobiografisch gefärbt sein mag, hebt der Chefkonstrukteur des "sozialistischen Realismus" in der Musik im Mittelsatz auf eine quasi-gesellschaftliche Ebene. Manchmal meint man direkt zu hören, wie die Violine, der tapfere Einzelkämpfer, im "Dramma musicale, eroico, lirico e giocoso" den Freunden vorauseilt. Das leise Unbehagen beim Hören entsteht wohl vor allem, wenn man um die kulturpolitische Macht weiß, die Ernst Hermann Meyer sich einzusetzen nie scheute. Seine Musik ist der Schostakowitschs (sicher nicht ungewollt) im Duktus sehr nah; allein die Schlagrichtung steht der des russischen Komponisten diametral entgegen.
PS: Irgendwo hinten im Schrank muß auch noch dieses seltsame Violinkonzert Kurt Schwaens zu finden sein. Meines Wissens ist es in Deutschland momentan auf CD nicht erhältlich. Ein neuer Auftrag für Berlin Classics?