Welch traurige Handlung, welch schönes Geschehen. Eine Lüge, die durch Liebe nicht ungeschehen gemacht werden kann, der Tod zweier Menschen und die Erlösung eines letztlich schuldlos schuldigen Mannes durch die Liebe einer Frau, die über den Tod hinaus reicht. Das sind Motive dieser romantischen Geschichte zwischen Diesseits und Jenseits, zwischen Tag und Nacht, die ohne jedes Wort auskommt, allein durch den Tanz, die Bewegung, die Geste und die Sprache der Körper die Herzen der Zusehenden erreicht.
„Giselle“ – das romantische Ballett – mit der Musik von Adolphe Adam ganz nahe am Original der überlieferten Choreografien von Jean Coralli und Jules Perrot, inszeniert von Sorella Englund und Nikolaj Hübbe, im zweiten Teil inspiriert und assistiert durch Anna Laerkesen, brachte das Königliche Ballett Kopenhagen anlässlich des Besuches von Königin Margarethe II. in der Dresdner Semperoper zur Aufführung. Die Erwartungen durften hoch sein, gelten die Kopenhagener doch als besonders angemessene Sachwalter klassisch-romantischer Traditionen, denen sie den Hauch des Besonderen zu geben vermögen. In der zweiten Aufführung am Sonntag wurden etliche Erwartungen übertroffen, der Hauch des Besonderen stellte sich rasch ein.
Da ist zunächst die selten so selbstverständlich wirkende Art des Umganges mit den klassischen Standards des pantomimischen Ausdrucks. Geradezu zärtlich gehen die Tänzerinnen und Tänzer mit diesen Zeichen einer weltumspannenden Erzählweise um, deren Zauber man sich nicht entziehen kann, wenn sie so beherrscht und beseelt angewendet werden kann wie hier. Organisch gehen die Passagen der Pantomime über in den Tanz des ersten Teiles in den so stimmigen und gebrochenen Farbtönen des idyllischen Bühnenbildes und der eleganten Kostüme im Märchenflair von Desmond Heeley. Nein, Perfektionsfanatiker sind die Tänzerinnen und Tänzer nicht. Die augenblickliche Emotion, der Ausdruck und das situative Empfinden in Bewegung zu verwandeln, das sind ihre Stärken.
Zu bewundern ist, wie sie es vermögen, innerhalb der Grenzen eines überlieferten und bestens beherrschten Bewegungskanons ein hohes Maß an Freiheit der individuellen Ausstrahlung zu gewinnen. Weder die technisch so raffinierten und mit höchsten Anforderungen an die Tanzkunst versehenen Passagen der berührenden Giselle noch die des eleganten und empfindsamen Albrecht lassen auch nur einmal einen Moment des Verdachts aufkommen, hier dränge sich die technische Perfektion in den Vordergrund. Mit Gudrun Bojesen und Nehemiah Kish sind diese Partien großartig besetzt und ihr Grand pas de deux im zweiten Teil, Andante, molto espressivo mit den folgenden Variationen wird zum Glanzpunkt dieser an Höhepunkten nicht gerade armen Aufführung. Charaktervoll gestaltet Morten Eggert den abgewiesenen Hilarion, große Freude für Fans des klassischen Tanzes, das fröhliche pas de deux der Freunde, getanzt von Yao Wei und Ulrik Birkkjaer.
Die Mitglieder des Corps de ballet im farbreichen ersten und die 16 wunderbaren Tänzerinnen im zweiten, dem weißen nächtlichen Teil als geisterhaft schwebende Wilis hinterlassen ausgesprochen gute Eindrücke. Der gestrengen Königin dieses Geisterreiches gibt Amy Watson entsprechende Gestalt und würdige Bewegung mit dem nötigen Hauch der Unnahbarkeit. Und immer wieder, solistisch, in Duetten, in der Gruppe, diese frappierend flinken, kaum den Boden berührenden Sprungpassagen in knapper Höhe, mitunter in irrwitzigem Tempo und im Gegensatz dazu langsame, verzögerte Passagen von berührender Schönheit, die makellosen Hebungen des Nehemiah Kish, bei denen er seine Partnerin Gudrun Bojesen zärtlich schweben lässt.
Es gibt eine glückliche Wiederbegegnung mit Lis Jeppesen, die 1984 beim ersten Gastspiel der Kopenhagener in Dresden als Sylphide begeisterte und jetzt in der Charakterpartie der Bertha, Giselles Mutter, höchst geschmackvolle Maßstäbe setzt. Als Ballett-Begleitorchester von hohem Rang erweist sich das Danish National Symphony Orchestra unter der Leitung von Graham Bond.
Fotos: Mads Blangstrup, Gudrun Bojesen (Henrik Stenberg)