Da ist zunächst die Faszination einer in Jahrhunderten gewachsenen Kulturlandschaft aus Bauwerken und Gartenkunst. Da ist die Musik, die sich durch Geschichte des gräflichen Anwesens der Familie Metternich Sándor zieht, seit Jahren als klingendes Ereignis in den Veranstaltungen des jährlichen Musiksommers, bei dem das österreichische Tonkünstlerorchester und das European Union Youth Orchestra von Ende Juni bis Ende August, bzw. Anfang September, hier ihre paradiesische Sommerresidenz beziehen. Unmittelbar nach dem Musiksommer, Leben, Arbeit und Genuss für Künstler, Gäste und Konzertbesucher, beginnt das Musikfestivalfestival Grafenegg, im dritten Jahrgang ein Name mit gutem Klang im festivalreichen Österreich, ein besonderer Klang im Land des kulturellen Reichtums, Niederösterreich mit seiner Donaualandschaft wie die Wachau, in der zudem Auge und Gaumen mit Genüssen überhäuft werden.
Die Räume des Schlosses wurden ihren Besitzern 1956 vom sowjetischen Militär leergeräumt zurück gegeben. Noch heute kann man anstelle der originalen historischen Bibliothek den neuen Lesestoff „bewundern“, der von den temporären Bewohnern zurückgelassen wurde. Stalin in allen Lebensabschnitten aus dem Hause Dietz, Ostrowski, Gladkow, Bredel und Genossen aus dem Aufbauverlag.
Bald klang Musik durch die leeren Räume, die inzwischen restauriert werden konnten. Im Schlosshof wurde musiziert, 1971 fand das erste Konzert im kleinen Saal statt, ab 1993 wurde die Reithalle aus dem 19. Jahrhundert als Konzertsaal genutzt, jetzt der Kammermusik vorbehalten. Weil sich im Schloss und im Park die Stile aus Jahrhunderten treffen und in musischer Eintracht einander ergänzen lag es nahe, bei der Konzeption für das Festival die gestaltete Landschaft in besonderer Weise zum Klangraum unter freiem Himmel zu machen. Keine Stadionkonzerte, keine temporären Bühnen, keine Massenabfertigung. Das Konzert im Freien sollte so weit als möglich jene Qualitäten erreichen, die ein besonderer Konzertsaal ermöglicht. Vorbild für dieses Festival waren nicht die Dimensionen der Berliner Waldbühne oder der Arena von Verona, nein, so der künstlerische Leiter, der Pianist Rudolf Buchbinder, man dachte an das Festival in Tanglewood, wo er selbst mehrfach mit berühmten Orchestern und Dirigenten Konzerte gab, und wo das renommierte Boston Symphony Orchestra seine Sommerresidenz bezieht.
Der "Wolkenturm" zur Sommernachtsgala (Foto: Werner Kmetitsch)
Im Ensemble von Grafenegg war das 21. Jahrhundert noch nicht präsent. Als das Festival vor drei Jahren eröffnet wurde, fanden auch die ersten Konzerte im Wolkenturm und im Auditorium statt. Der Wolkenturm, das ist eine Bühne, die sich in Anlehnung an einen Pavillon in einer eigenwilligen, in die Höhe geschichteten Ästhetik aus dem Grün eines Hügels, in freier Assoziation zum Aufsteigen der Klänge, weithin sich sichtbar erhebt und doch – besonders im Abendlicht – unwahrscheinlich luftig anmutet. Aus den Materialien der Zeit, Beton, Glas und Stahl, hat das Architektenduo Marie-Therese Harnoncourt und Ernst J. Fuchs diese Bühne geschaffen und zusammen mit den Spezialisten der Münchner Müller-BBM ein akustisches Wunder vollbracht. Für 1.800 Konzertbesucher auf den aufsteigenden Tribünen des der Antike nachempfundenen modernen Amphitheaters können Hörgenüsse ohne Verfremdung, Verzerrung und unangemessene Verstärkung geboten werden.
Ein kluges Konzept gepaart mit Management und künstlerischem Anspruch ermöglichen hier das Besondere für den besonderen Anlass in der Unverwechselbarkeit des Ortes. Lässt der Besucher das Konzertwunder Wolkenturm hinter sich hat er vor sich, am Abend festlich leuchtend, zwischen Reithalle und Schlossschänke das Auditorium, jenen ebenfalls vor drei Jahren eröffneten Konzertsaal, der bei hervorragender Akustik bis zu 1.300 Menschen Platz bietet, nur notfalls als Regenvariante genutzt werden soll, sondern jener Musik vorbehalten ist, die des intimen Charakter eines Saales bedarf, Liederabende, Alte Musik, bestimmte Formen der Sinfonik. In verblüffender Schlichtheit, in optischer Harmonie und denkmalpfegerischer Akkuratesse entwarf das Dortmunder Büro schröder schulte-landbeck den von Dieter Irresberger ausgeführten Bau, dessen akustische Qualität sich wiederum der Münchner Firma Müller-BBM verdankt. Ganze 25 Millionen Euro kosteten beide Bauwerke, deren angenehme Wirkung ebenso zum Erfolg des Festivals beiträgt wie dessen Eintrittspreise, die in unterschiedlichen Kategorien bei 9 Euro beginnen und die 100er Grenze nicht überschreiten.
Künstlerischer Leiter von Grafenegg ist der Pianist Rudolf Buchbinder (Foto: Peter Rigaud)
Es mag dem Besonderen Ambiente zu verdanken sein, dass Musikfreude wie Musiker gleichermaßen gern hierher kommen, Popularität, Umsicht und Geschick des künstlerischen Leiters sowie des gesamten Teams sind nicht unwesentlich für die Tatsache, dass im dritten Jahrgang das Festival, das am 6. September mit einer Uraufführung von Tan Dun, dem diesjährigen Composer in residence, erfolgreich ins Finale ging mit einem attraktiven Programm aufwartete. Die Wiener Philharmoniker, das London Symphony Orchestra und das Philharmonia Orchestra, das Gustav Mahler Jugendorchester, das Budapest Festivalorchester und das Orchester of the Age of Enligthtenment gaben sich unter der Leitung erster Dirigenten mit Solisten wie Annette Dasch, Matthias Goerne oder Emanuel Ax ein Stelldichein, Andreas Scholl sang Lieder von Oswald von Wolkenstein.
Mit dem Königlichen Philharmonischen Orchester aus Stockholm spielte Rudolf Buchbinder Beethovens drittes Klavierkonzert und verblüffte auch den Skeptiker, der nicht glauben wollte, dass die Intimität solcher Musik, vor allem eines solchen Instruments, unter freiem Himmel zur Wirkung kommen kann. Und zur Eröffnung des Festivals war es nicht nur, als hätte der Himmel dieses unwahrscheinlich warmen Sommerabends die Erde sanft geküsst. Nein stürmisch ging es zu in allerbestem Sinne, als Joseph Calleja, als konkurrenzloses Tenorwunder der Gegenwart, mit der überzeugenden Schönheit seines natürlichen Gesanges, begleitet vom Tonkünstlerensemble unter seinem neuen Chefdirigenten Andrès Orozco-Estrada, ein strahlendes Fest bereitete.
Opernaufführungen als Inszenierungen soll es an diesem Ort nicht geben, aber eine Oper in konzertanter Form, im nächsten Jahr zur Eröffnung des vierten Musikfestivals Grafenegg. Welche Oper dann unter freiem Himmel erklingen wird bleibt noch geheim. Also bleibt die Neugier… (Foto: Alexander Haiden)
Eine Textfassung des Artikels ist am 14. 9. in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.