Die siebte Spielzeit ist eröffnet. Sieben Premieren sind angesagt. Das Dresdner Theater wechselbad der Gefühle hat sieben wechselvolle Jahre überlebt, ohne einen Cent Zuschuss aus Steuergeldern. In den letzten sieben Jahren hat es weit mehr als sieben Köstlichkeiten präsentiert, die so hoffnungsvolle wie bibelfeste Direktion hofft auf kommende sieben fette Jahre und bittet jeden Zuschauer sieben weitere einzuladen. Wenn davon dann jeder Siebte in die Maternistraße kommt, dann wird man hier zwar weiter mit jedem Cent rechnen müssen, aber man kann einigermaßen sicher damit rechnen, dass dieses Theater auch in den kommenden sieben Jahren seinen besonderen Platz in der Dresdner Theaterlandschaft unterhaltsam einnimmt.
Und dann ein Jubiläum zur Jubiläumsspielzeit. 25 Jahre nach der deutschen Erstaufführung am Berliner Theater des Westens kommt jetzt in Dresden Harvey Fiersteins „La Cage aux folles“ mit der Musik von Jerry Herman auf die Bühne. Damals wie heute am Pult der herrlich jung gebliebene Altstar Rolf Kühn. Dass der Mann in wenigen Tagen seinen 80. Geburtstag begeht mag man nicht glauben. Blitzartig sendet er seine energischen Signale an die Mitglieder der neunköpfigen Band, die daraus ein Feuerwerk macht. Wenn der Meister sich augenzwinkernd in sanften Melodien wiegt, die Ohrwürmer des Stückes ins rasante Tempo reißt, es beim Can Can krachen lässt und im nächsten Moment bei chansonhaften Nummern Begleitkunst zelebriert, hier stimmt die Chemie, der Sound nimmt mit.
Schwer auszumachen, ob dieses Stück mit den Männern in Frauenkleidern, den Liebesgeschichten, in denen das Herz mehr zu sagen hat als die Biologie, wirklich jemals ein echter Schocker war. Was wirklich drunter war, wusste man ja, bevor die Röcke hochflogen. Und so kommt Regisseur Wolf Dieter Göök gar nicht auf die Idee, die Geschichte aufzubauschen oder unnötige Provokationen einzubauen. Die technischen Möglichkeiten sind begrenzt. Dass es dennoch möglich ist, eine Unzahl von flinken Szenenwechseln zu bewerkstelligen, im Nu auf der Bühne und dann schon wieder dahinter zu sein, gelingt bestens. Alle packen zu, alle bauen um; alles, was auf der Bühne steht, hat mindestens zwei Seiten. Und damit ist Göök ganz wunderbar beim Stück, in dem es ja darum geht, dass sich alle hier ihre Version davon, was ihre große Show sein könnte, aus einer Vielzahl von Versatzstücken zusammenbauen. Schminke, Schmuck und schöne Kleider: mehr oder weniger Stoff machen es möglich, für einen Augenblick die Welt auf den Kopf zu stellen, den Käfig zu öffnen, nach Herzenslust mit dem Hintern zu wackeln und den Schwanz durchs Gehirn wachsen zu lassen.
Wenn nur das kleine Leben nicht wäre, das sich zwischen die Showteile schiebt. Das Leben mit seinem kleinen Misstrauen, mit seinen Finten, Feigheiten und Gemeinheiten. In der Show, im Theater, den großen Max mit Strapsen zu machen, ist eine andere Sache als im Leben dazu zu stehen, dass man mit einem Mann verheiratet ist, wenn der leibliche Sohn eine Frau heiraten will und deren Vater ein Moralapostel ist…
Es geht gut aus. Diese Säulen der Moral – ganz wunderbar als moralinverklemmtes Ehepaar Rita Schrem und Christian Mock – wackeln rasch. Dem jungen Glück steht nichts im Wege, Leticia Thate als Jaqueline landet in den Armen ihres Auserwählten. Was die Sympathien angeht, muss sie mit dem Publikum mächtig teilen. Tobias Bieri ist dieser sportive, blonde Strahleboy. Schönheit schützt vor Feigheit nicht, und am Ende hat auch dieser Jean-Michel eine Lektion erhalten; und weiß was es heißt, Vater und Mutter zu ehren, auch wenn die Mutter theoretisch ein Vater sein könnte. Hans-Georg Pachmann ist Zaza in der Show, Albin im Leben, oft nicht in der Lage beides zu trennen, im entscheidenden Augenblick doch in der richtigen Maske zur Stelle. Pachmann spielt das alles ohne unnötige Sentimentalität, setzt seine kleinen Brüche, wenn die Angst vorm Altern und Alleinsein nicht mehr weg zu schminken ist.
Der Mann an seiner Seite, Stephan Schill als Georges, der Showmaster, dem im speziellen Falle die Regie zu entgleiten droht, kriegt wunderbar die Kurve und ist wohl am Ende sicherer denn je, dass ein Mann auch erst ein ganzer ist, wenn einer an seiner Seite ist. Keine Komödie ohne Faktotum, als Jacob, je nach Bedarf Zofe oder Butler, geschmackvoll überdreht, Eric Lee Johnson. Das leicht bewegliche Ambiente mit dem Charme eines Wandertheaters hat Ella Späte entworfen, dazu die Kostüme mal närrisch, mal „seriös“. Besonders schöne Blüten treibt ihre Fantasie für die sechs Cagelles, Kora Lang, Leticia Thate, Juan Mochales, Hendrik Schall, Sebastian Römer und Konstantin Krisch. Ohne diese Truppe in den Choreografie von Angelika Forner wäre alles nur halb so schön, sie reißen die Beine hoch, springen in den Spagat, schweben als Schwäne á la Trocadero de Monte Carlo stöckelnd dem verliebten Bräutigam durchs Gemüt, und sind immer zur Stelle, wenn flinke Wechsel von Nöten sind. Wir sind nicht im Regietheater. Die Hüllen bleiben am Body und so rätseln wir manchmal schon ein wenig, was darunter ist. Aus manchen Gesangsnöten machen sie eine Tugend, da sind sie mit den Kollegen in bester Gesellschaft, macht aber nichts, nicht jeder Ton ist richtig, stimmt aber im Prinzip genau.