Beim Begräbnis geht so gut wie alles für Cello und Klavier. Bach, Bush, Bizet, Beatles, Richard Strauss und Elvis Presley. Volkslieder und Volksweisen sowieso. Irène Favre de Lucascaz hat auf der großen Bühne den spröden Charme einer Feierhalle für den Liederabend „Denn alle Lust will Ewigkeit“ eingefangen und zum Raum werden lassen. Links davon der Cellist Friedrich Paravicini, der sein Instrument so exzellent wie multifunktional zu spielen versteht, dabei ganz im Stile des Anlasses so gut wie keine Mine verzieht und seine Blicke hinter dunklen Gläsern versteckt. Rechts am Flügel Franz Wittenbrink, etwas lässiger, auch mit dunkler Brille, zunächst die rechte Hand auf den Tasten, in der linken den gefüllten Cognacschwenker. Diesem Herrn und seiner schier unerschöpflichen musikalisch-philosophischen Fabulierkunst verdanken wir diesen wunderbaren für Dresden erneuerten Theaterabend seiner anhaltenden Erfolgsserie, der uns lachen und weinen lässt. Wir schluchzen, gickern und girren, manchmal schnappen wir nach Luft, bei so viel Lebenslust in 90 Minuten, in denen so gut wie alles besungen wird was das Leben nicht nur zum Sterben schön, sondern saukomisch noch dazu macht.
Sabrina Ascacibar, Mila Dargies und Anneke Schwabe, drei heftig ramponierte Totenhühner mit Wasserleichencharme wickeln uns kraft ihres vielstimmigen Simsalabim vom wundersamen Sterben und Auferstehen eines Kuckucks sofort um ihre Finger, die sie fortan gerne und mit Kunst in allerlei Arten von Wunden legen werden. Ziemlich kalt und gnadenlos, in ungewöhnlich forschem Tempo „Let Me Freeze“ von Purcel, dann leichtes Erschrecken bei Marylin Monroes „River Of No Return“ und hin zu einem der grausigsten Kinderlieder von Brahms, „…wenn Gott will, wirst du wieder geweckt“. Nein, kein Zeigefinger, keine erhobenen Stimmen, viel Leichtigkeit vor allem, die Überraschungen sind gut verteilt, kein Anflug von theatralen moralingetränten Mordversuchen in dem Sinne, dass uns das Lachen vergehen oder schlimmer noch im Halse stecken bleiben solle.
Das hat man alles schon gehört, aber so? Bachs „Komm süßer Tod“, und nur das Adjektiv zum Substantiv gewandelt, die Kunst der Pausen, die scheinbaren Gegensätze, wenn der „Süße kommt“, Haarmann heißt und mit dem Hackebeil an die Tür klopft, wenn auf die elegische Zeitphilosophie a lá Hoffmannsthal und Strauss das Lied vom Tod gespielt wird und sich der sterbliche Lebenskreis drei verzauberter Trauerhühner schließt mit ihrer berührenden Version zweier Sätze aus Pergolesis „Stabat Mater“. Zuvor, wenn sie zu schwächeln drohten, immer zur rechten Zeit, schlurft die Nestorin des Dresdner Ensembles, Ursula Geyer-Hopfe, über die Bühne. Sie klaut vom dunklen Wein der hellsichtigen Totenfeier, streut den jungen Hühnern Krumen hin, die ganz bestimmt nach Manna schmecken müssen, macht ihren Frieden mit der Erdenschwere, „Wenn ich ein Vöglein wär…“, und verblüfft mit ihrer Variante von „Satisfaction“.
So viel Lust und keine Ordnung? Aber doch. Der uniformierte Hüter wacht in der Loge, entpuppt sich als Charmebolzen und rutscht fachgerecht herunter. Philipp Lux gibt als Italoelvis, Paolo Conte in XXXL oder Tangofeger den ultimativen Rampenhahn. Und dann entlassen uns diese sonderbaren Komödianten-Nachtwandler in die „kühle nachdenkliche Nacht“. „Oh Mensch! Gieb Acht“, heißt es bei Nietzsche im Nachtwandler-Lied, dessen Schluss das Thema für den Abend gibt und an dessen Ende Ursula Geyer Hopfe noch einen kleinen Schauer mit Augenzwinkern verbreitet hatte. Vom Schicksal sang sie, das den Hobel ansetzt, und alle werden gleich. Der Nestroy und der Nietzsche auch.
Weitere Aufführungen: 2., 10., 18., 27. Oktober
(Fotos: HL Böhme)
Eine Textfassung des Artikels ist am 28. 9. in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.