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Das „World Culture Forum“ wurde seinem Anspruch nicht gerecht

Mit einer ernüchternden Tatsache sah sich das zweite World Culture Forum WCF schon vor den warmen Eröffnungsreden am Donnerstagabend konfrontiert. Dresden kann nicht mehr als idealer Gastgeber eines solchen Forums gelten, das sich gern neben dem Weltwirtschaftsgipfel und dem World Resources Forum in Davos als rufende und mahnende Institution etablieren möchte. Der Starrsinn, der Dresden den Welterbetitel kostete, hat auch zur Absage vieler Teilenehmer geführt, wie Mitinitiator Hans-Jochim Frey einräumte. Vor der Gläsernen VW-Manufaktur hielten Welterbe-Freunde hartnäckig Wacht, und auch in den Einzelforen kam der unsensible Umgang der Stadt mit ihren gewachsenen Ressourcen zur Sprache. Am auffälligsten blieb die Absenz von Prof. Meinhard Miegel von der Stiftung Denkwerk Zukunft, der bislang neben seinem Freund Kurt Biedenkopf zu den Exponenten des WCF zählte.

Gemischte Gefühle hinterließ ein weiteres Mal auch die Kulisse, vor der über eine kulturelle Weltrevolution diskutiert werden sollte. Der im noblen Glashaus endmontierte „Phaeton“ mag zwar im Sinne eines weiten Kulturbegriffs der Inbegriff höchster Automobilkultur sein. Unter den hier thematisierten Aspekten von Nachhaltigkeit, gar einer neuen Weltordnung aber ist er allemal ein Anachronismus und müsste eher als abschreckendes Beispiel dienen.

Gemessen an seinem Anspruch und dem richtigen und dringenden Ziel einer Re-Kultivierung, ja Re-Zivilisierung der Ökonomie hat das World Culture Forum nach zwei Jahren seinen Zenit wohl schon überschritten. Seine Gründung Ende 2007 war von ebensoviel Hoffnung wie Skepsis begleitet. Aus heutiger Sicht mutet plötzlich ein kurzes Treffen in der Uhrenstadt Glashütte vom vorigen Dezember wie eine Sternstunde an. Es sollte eigentlich nur der Vorstellung des zweiten großen Forums dienen. Unter dem Eindruck der massiv hereinbrechenden globalen Finanz- und Wirtschaftskrise lieferte beispielsweise Prof. Franz Josef Radermacher vom Club of Rome pointierte Analysen. Und von Meinhard Miegel hörte man Sätze, die man sonst nur von „attac“ oder aus der AG Wirtschaftspolitik der Linken kennt. Am Ende aber standen auch bei ihm Zweifel an der Lernfähigkeit des Systems: „Wir werden die nächste spekulative Blase aufbauen …“

Wegen dieser Krise wurde dann der ursprünglich geplante Februartermin des zweiten Forums verschoben, obschon das Kernthema greifbare und bestürzende Aktualität gewonnen hatte. Nun, in diesen Oktobertagen, schien mit wenigen Ausnahmen niemand mehr wirklich alarmiert. Betroffen schon gar nicht, denn das WCF bleibt eine höchst elitäre Veranstaltung, die auf Empathie angewiesen ist. Dem auch mit 79 Jahren unverändert glänzenden Theoretiker Kurt Biedenkopf blieb es vorbehalten, zur Eröffnung zumindest ein brisantes und analytisch klares Exposé zu liefern. Er musste dazu nur ein weiteres Mal referieren, was er schon vor 35 Jahren als Antwort auf den ersten Bericht des Club of Rome in seinem Buch „Fortschritt in Freiheit“ formulierte. Die Fähigkeit zum Maßhalten, zur Begrenzung materieller Ansprüche kann eine Überlebensfrage werden. „Geschichte lehrt, dass Kulturen an Entgrenzungen untergingen“, sagte der frühere sächsische Ministerpräsident. Und stellte angesichts von Ressourcenknappheit und wachsender sozialer Spaltung die Frage: „Was hält uns noch zusammen?“

Die Kultur soll´s richten, als der vielzitierte Kitt oder besser noch als die Basis allen Handelns. Bei „kultureller Kohärenz“ schändet Armut nicht und wird Reichtum nicht übermütig. Ob das anthropologisch funktionieren kann oder je funktioniert hat, wäre ein ausgesprochen spannendes Thema gewesen. Und vielleicht hätte man sich einmal einen linken Ketzer in eines der Podien holen sollen, einen, der sich an einen Lehrsatz aus dem DDR-Unterricht in Politischer Ökonomie erinnert: Der Kapitalismus hebt tendenziell die Bedingungen seiner eigenen Existenz auf! Nur mit anderen Worten sagte es Kerstin Born von der Unternehmerorganisation CSR Europe: „Kein Unternehmen kann leben in einer Gesellschaft, die zerbricht.“ Diese Gefahr sehen die Väter des WCF nämlich plötzlich, eine neue Barbarei, wie Miegel einst im Gespräch einräumte. Gemeint ist der rohe, ungezähmte, zügellose Kapitalismus, modern als der neoliberale oder Turbo-Kapitalismus bezeichnet. Der braucht Regeln, und zwar inzwischen weltweite, wie sie unter anderem der Ex-Banker und frühere Präsident des Sächsischen Kultursenats Bernhard Freiherr von Loeffelholz auch in diesem Forum forderte. So etwas wie den Grundgesetz-Artikel 14, der die Sozialpflicht des Eigentums fordert, für die ganze Welt. Wie so vieles beiläufig angedeutet, aber nicht diskutiert wurde die „Erklärung zu einem globalen Wirtschaftsethos“, die eine Gruppe um den Tübinger Theologen Hans Küng zwei Tage vor Beginn des WCF vorgestellte hatte.

Wer könnte solche Regeln durchsetzen? Kurt Biedenkopf warnte einmal mehr davor, den Glauben an stetiges Wirtschaftswachstum als Garanten für eine stabile Demokratie anzusehen. Und zweifelte am stetig steigenden Wohlstand. Jeder Schüler aber wächst heute schon mit dem wirtschaftlichen Grundsatz auf: „Wer nicht wächst, stirbt!“ Nach der jüngsten Umfrage von infratest-dimap erwarten 68 Prozent der Bundesbürger, dass die schwarz-gelbe Regierung nun für neues Wachstum sorgen solle. In einem der lediglich drei Foren, die dicht am Zentralthema waren, erklärt dann auch noch Gerhard Prätorius, Koordinator für CSR und Nachhaltigkeit beim VW-Konzern, dass es „keine natürlichen Wachstumsbarrieren“ gäbe. Niemand diskutiert das. Eine verschenkte fruchtbare Kontroverse.

Ebenso wie die drängende Frage, wer denn nun die Anarchisten und Hasardeure im Weltfinanzsystem an die Kandare legen und ihnen Kultur beibringen soll. Eine Weltregierung? Franz-Josef Radermacher, diesmal leider nur als Moderator eingesetzt, hielt es immerhin für einen riesigen Fortschritt, dass der exklusive Kreis der G8-Staaten nun auf eine G20 erweitert worden sei und somit 90 Prozent der Weltwirtschaftskraft repräsentiere. Wo aber waren solche Repräsentanten beim WCF? Wenn ein Weltkulturforum seinen Namen und seinen globalen Anspruch ernst meint, dann muss es auch Global Player einladen, um aufgeworfene Kernfragen offensiv anzugehen.

Stattdessen viel Folklore und Diskussionen über Facetten einer „Balance“, so das zentrale Schlagwort dieses Forums, die sich zwischen Ökonomie und anderen Lebensbereichen doch nur begrenzt und singulär herstellen lässt. Beschwörungen von Familie und Religion, kulturelle Bildung, Stadtentwicklung, demographischer Wandel, Kunst als Lebenshilfe, ja gar Musik als Therapie für durchgedrehte und sozial entfremdete Manager. Ehrenwerte Bemühungen und Ansätze, die manchmal sogar über ein „Seid nett zueinander“ hinausgingen. Etwa bei leidenschaftlichen Verweisen von Hans Reitz auf die krasse Spaltung der Welt in extreme Armut und extremen Reichtum. Dessen „circ“-Agentur will Unternehmen zu weltweitem sozialem Engagement bewegen. Dieses Teilforum über interkulturelle Balance und das über „CSR“ lagen noch am dichtesten am Zentralthema. CSR steht für „Corporate Social Responsibility“ und meint sowohl strategisch profitable Nachhaltigkeitsinvestitionen in Unternehmen wie auch die medienwirksame Vermarktung sozialen und ökologischen Engagements.

Doch in der Kapitulation vor der zentralen Frage verlor sich das WCF in einem Supermarkt von Modethemen. Jedes für sich wichtig und richtig und täglich auch anderswo diskutiert, aber meist von ergänzendem Charakter. Knapp vier Wochen zuvor hatte beispielsweise ein kaum beachtetes kleines Forum in Hellerau die Aktualität der lebensreformerischen Ideen vor 100 Jahren beleuchtet und war zu weit klareren Aussagen über eine weniger selbstzerstörerische Wirtschaft und integrierte Lebenskonzepte gelangt. Aber auch dort machte sich Fatalismus breit, dass die Welt letztlich von ganz anderen Kräften bewegt werde als von Kulturmissionaren. In der VW-Manufaktur sprach Hans Reitz ebenfalls von der „Haupttriebkraft Ökonomie“.

Undiskutiert blieb in diesem Zusammenhang die hoffnungsvoll gemeinte Behauptung des Universalkünstlers Armin Müller-Stahl: „Kultur ist am stärksten in Krisenzeiten!“ Die teils nostalgisch beschworene Unternehmenskultur gewiss nicht. Wie sollte sie auch in Zeiten des „Hire und Fire“, des gnadenlosen Wettbewerbs und der Zeit- und Kurzarbeit noch entstehen? Unbelastet von solchen großen Fragen gab es im Rathaus auch noch eine fröhlich schnatternde Begegnung zwischen Jugendlichen aus Sachsen und den Nachbarländern Polen und Tschechien. Mehr oder weniger geduldig hörte man sich eineinhalb Stunden Podiumsdiskussion an, schwatzte dann locker beim Essen und versuchte mit leidlichem Erfolg sogar miteinander den „Bruder Jakob“-Kanon zu singen.

Wahrscheinlich ein nachhaltigeres Ereignis als das ganze World Culture Forum. Einigen von Erkenntnis getriebenen Mitwirkenden sollte man nicht Unrecht tun, aber angesichts allzu vieler Placebos entstand doch überwiegend der Eindruck einer Selbstbestätigungsveranstaltung. Opulent und eloquent getarnte Ratlosigkeit. Es mag vielleicht fünf vor zwölf sein, aber wir können getrost noch eine ganze Weile so weiterwursteln.

(Foto: David Brandt)

Eine Textfassung des Artikels ist am 12. Oktober in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.

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