Der Glühwein-Stand auf dem Neumarkt-Weihnachtsmarkt war offenbar zu verlockend: merklich leerer waren die Reihen nach der Pause in der Frauenkirche. Erstaunllich, wie schnell die letzten drei Kantaten des Weihnachtsoratoriums dann doch über die Bühne, nein, den Altar gingen.
Das Ensemble der Frauenkirche, der klangschlanke Kammerchor und die vier Solisten legten ein rasches, aber nirgends zu schnelles Tempo vor. Allein der Eingangschor waberte etwas, bevor alle Musiker das Tempo aufgenommen hatten, und die Altistin Ulrike Zech verschleppte später noch dann und wann. Dafür funktionierte die Abstimmung der Continuo-Musiker in den Rezitativen ausgezeichnet – hier hat Matthias Grünert, der wie gehabt von der Truhenorgel aus dirigierte, im Vergleich mit den letzten Mammut-Aufführungen der sechs Kantaten deutlich an Souveränität gewonnen.
Markus Brutscher, der die Rolle des Evangelisten hier schon öfter sang, schien am Samstag Abend – nach der gesamten Distanz am Freitag! – erschöpft und sang zwar sehr emotional, aber an der Grenze zur Manieriertheit. Ute Selbig, eingesprungen für Christina Elbe, wirkte gegenüber der dramatischen Altstimme fast akademisch-streng (was der Echo-Arie mit einem leider namenlosen Echo zugutekam); der Bassist Marcus Niedermeyr wirkte als freundlich-neutraler Ausgleich zwischen den verschiedenen Stilistiken. War doch auch sonst in der zweiten Aufführung der sechs Kantaten (am Montag wird es eine dritte geben) einiges musikalisch nicht auf dem anspruchsvollen Niveau der Vorjahre.
Das ensemble frauenkirche konnte oder wollte sich nicht entscheiden, ob man nun eher dem barocken Klangideal huldigen oder die Musik in der unverbindlich-mainstreamigen Orchester-Stilistik des 19. Jahrhunderts belassen wollte. Viel Vibrato in den Streichern, ein breiter, weicher Klang, der die Mittelstimmen im Schiff der Frauenkirche arg verschwimmen ließ. Nur der Chor hatte gut am Klang geputzt, überzeugte mit klaren Tönen und ausgewogener Stimmführung. Einige überraschende Echo- und Pianoeffekte lockerten den langen Abend auf, warfen aber in punkto Aufführungspraxis eher noch mehr Fragen auf. Kompliment in jedem Fall der CD-reifen Interpretation von Christian Höcherl (Trompete) – die beiden Hörner in Kantate IV hatten da einen weniger glücklichen Tag.
Bleibt die Frage, warum der Frauenkirchenkantor alle Kantaten in einen Abend drängt – zumal die über Reisebüros und Dresden-im-Advent-Angebote ausverkaufte Kirche gegen Ende doch recht unruhig wurde. Versucht man sich auf diese Weise von den etablierten Aufführungen in der Stadt abzusetzen? Ein regelrechter Musikgenuss ist jedenfalls kaum möglich, wenn die Sitznachbarn däumchendrehend auf den Schlußakkord warten und merklich seufzend keine Geduld mehr für die Da-capo-Arien aufbringen mögen.
(Foto: M. Creutziger)