Zwar ist es bedauerlich, wenn ein Dirigent ein Konzert absagen muss, doch wenn noch zeitlicher Spielraum bleibt, kann meist ein adäquater Ersatz gefunden werden. Und nur selten beschränkt sich der Berufene dann darauf, lediglich das Konzert zu retten: mit Einspringe-Einsätzen begannen schon musikalische Weltkarrieren. Im idealen Fall lernt das Publikum auf diese Weise ein neues Talent kennen und die musikalischen Horizonte werden erweitert. So war es auch erfreulicherweise im 4. Zykluskonzert der Dresdner Philharmonie.
Für Yakov Kreizberg konnte der junge polnische Dirigent Krzysztof Urbanski gewonnen werden, der auch gleich das sinfonische Programm änderte. Der 28jährige, der als Assistent von Antoni Wit in Warschau arbeitet und nach mehreren Auszeichnungen bereits die großen Orchesters in Europa leitet (letzte Woche erst gastierte er beim NDR Sinfonieorchester), stellte zunächst ein Werk von Wojciech Kilar vor, dessen "Orawa" vor nicht allzulanger Zeit bei der Philharmonie erklang. Der polnische Avantgardekomponist, der vielen vor allem durch seine Filmmusiken für Coppola, Polanski und Campion bekannt sein dürfte, schrieb seine Orchestermusik "Krzesany" – "Bergsteigen" 1974 und fernab von der Melancholie Goreckis oder den zeitgeschichtlich motivierten Werken Pendereckis zelebriert Kilar hier entfesselten und unverhohlen folkloristischen Orchesterklang, der direkt anspricht und so auch Hörer erreicht, die mit komplizierten Texturen neuer Musik eher Schwierigkeiten haben.
Dennoch ist Kilars Tonsprache geschärft und ist vor allem in rhyhtmischen Überlagerungen raffiniert. Urbanski zeigte – auswendig musizierend – ein präzises Dirigat und hielt das Tempo zu Beginn gut fest, so entwickelte sich bereits in den anfänglichen Streicherflächen eine große Energie, die sich später in ein rhythmisches Feuerwerk verwandelte und am Ende doch den Irrglauben stärkte, wenn das Blech im vierfachen fortissimo stehend spiele, sei der Kulturpalast noch akustisch tragbar. Für diese überzeugende Darbietung (wenngleich auf die Orgel am Ende verzichtet wurde…) eines der faszinierendsten polnischen Werke der neueren Zeit erhielt Urbanski großen Applaus.
Martin Helmchen war dann der Solist in Ludwig van Beethovens 3. Klavierkonzert c-Moll. Das Gemeinschaftswerk der beiden jungen Gastmusiker war eine frische und natürliche Lesart dieses Klavierkonzertes, das als eines der herausragendsten Exempel des Genres und seiner Zeit gilt. Nach einer von Urbanski wunderbar kantabel musizierten Einleitung setzte Helmchen den melodischen Fluß mit Selbstverständlichkeit und jederzeit klarer Motivausformung fort. Anstelle das Konzert mit Bedeutung zu überfrachten, besann sich der Pianist auf kluge Akzentuierung, federnde Rhythmik und eine Leichtigkeit, die Schwung hatte, ohne Grenzen zu überschreiten. So entstand ein subtiles Hineinleuchten in die Musik, das auch im Dialog mit dem Orchester gelang: ein freies Musizieren innerhalb der beethovenschen emotionalen Welten entstand. Diese spürbar unprätentiöse Frische der Interpretation war beim Publikum höchst willkommen und Helmchen setzte auch in der betörenden Mozart-Zugabe diese Leichtigkeit fort.
Als sinfonischen Abschluss hatte sich Krzysztof Urbanski für drei sinfonische Dichtungen aus dem Zyklus "Mein Vaterland" von Bedrich Smetana entschieden. Damit war nicht nur die Internationalität der sächsisch-polnisch-böhmischen Grenzregion vollzogen, sondern auch ein bekannt-behaglicher Abschluss dieses Konzertes gefunden. Denn Urbanski versuchte weniger aus den Orchesterpiècen ein Showdown zu gestalten, denn sich mit Sorgfalt den vielen melodischen und harmonischen Entwicklungen zu widmen. Dabei obsiegte einige Male die erwähnte Behaglichkeit, die sich durch recht zurückgenommenes Tempo einstellte, doch konnten etwa die Holzbläser auf diese Weise sehr schön ausmusizieren. Die Soli der Harfen und Klarinette in "Vyšehrad" und "Sarka" sowie die Flöten-Wellen der "Moldau" genoss man ohnehin. Jugendlicher Charme wehte über diesem Zykluskonzert. Die beiden außerordentlichen Talente werden ihren Weg machen, und dies eben nicht mit der wilden Revolution auf dem Podium, sondern mit dem hier demonstrierten, viel mehr überzeugenden Höchstmaß an Kreativität und musikalischer Kompetenz.
Frisch erschienen: Martin Helmchen spielt Klavierkonzere (pentatone). Neben dem bekannten Schumann-Konzert widmet sich Helmchen in dieser Produktion dem selten gespielten Klavierkonzert g-Moll von Antonin Dvorak. Marc Albrecht dirigiert die Straßburger Philharmoniker.
Eine Textfassung des Artikels ist am 25. Januar 2010 in den Dresdner Neusten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.
Foto Urbanski: DG Photography