Aber klar, das ist es doch. Kaum hat die Premierenvorstellung der „Gräfin Mariza“ von Emmerich Kálmán in der Staatsoperette begonnen, da wird sie schon mitten in der Ouvertüre unterbrochen. „Klassikradio Österreich“ mit einer Sondermeldung von der Finanzfront. Banken und Milliarden, Drogen und Waffen, Balkanmafia…und schwups, schon sind die Nachrichten zum Operettentext geworden. Man kann ja alles ins Musikbett legen.
Sie macht Angebote, die man einfach nicht abschlagen kann: die "Patin" Mariza (Ingeborg Schöpf)
Die schöne Geschichte von der tapferen Gräfin, die vor ihren Scheinverehrern flieht, dazu ihre Verlobung samt Verlobtem erfindet, den es dann aber doch in Persona gibt, aber am Ende nicht in dessen sondern in denen ihres Verwalters landet, kam 1924 in Wien auf die Bühne und wurde ein Welterfolg. Kálmáns Operette mit einer Abfolge von Ohrwürmern ist ein Gegenwartsstück, denn es spielt 1924; und ganz sicher waren die musikalisch süffig und würzig servierten Finten und Finanzgeschäfte seiner schillernden Blaublütler samt Herzschmerz nicht zuletzt deshalb auf Anhieb so beliebt, weil auch in Wien die goldenen Zwanziger für die Einen Milliarden und für die anderen Stempelkarten brachten.
An der Staatsoperette inszeniert Axel Köhler das Gegenwartsstück als vergnüglichen Kommentar zur Zeit und geht dabei so geschickt vor, dass er das Genre nicht überfordert aber auch nicht unterschätzt. Man muss ja mitunter nur die Anzahl der großen Nullen vor dem Komma erhöhen, jene Damen und Herren, die lächelnd über Plus und Minus gebieten ihr gänzlich sauber gewaschenes Geld nicht mit Paprika oder Schweinzucht verdienen lassen, sondern ihre Anwesen in blühende Landschaften aus Hanf und rotem Mohn zu versetzen, und schon wird jede Pleite zum Peng mit Schampus, schmucken Girls und strammen Boys. Glückliche Leiharbeiter, je nachdem, wo sich die einträglichen Gefilde befinden, singen und tanzen. Hier, im ungarischen Naherholungsgebiet für Wiener Schlawiner, Spekulanten und Schweinebarone müssen Violine, Zymbal und Kontrabass für käuflichen exotischen Party-Sound sorgen oder den Katzenjammer insolventer Zocker untermalen.
Aber keine Bange, keiner wird zur Kasse gebeten, im Gegenteil wer andern nimmt dem wird gegeben, deshalb gibt es sie ja, jene Operettentanten, die plötzlich gegen Ende da sind, ihre milde Hand auftun und alles löst sich auf in Wohlgefallen. Köhler setzt noch eins drauf, ganz dick zum Schluss, an Aktenkoffer, Sonnenbrillen, Laptop, goldgerahmten Flachbildschirm für Börsenkurse und Sicherheitstypen haben wir uns gewöhnt, da entpuppt sich Dietrich Seydlitz, ein skurriler Kammerdiener, als Kriminalkommissar und hat im Gefolge ein schwarzes Geschwader, GSG 7,8 und 9, MP im Anschlag. Und wieder siegt die Macht der schönen Scheine, Kommissare sind auch nur Menschen, Waffen runter, Klamotten auch und schon tanzen lauter knapp bekleidete Liebesgötter durchs Finale.
Das Schönste an diesem Abend: Axel Köhler versteht es, alle Darstellerinnen und Darsteller ins Spiel zu bringen und alle spielen mit. Herrliche Typen sind da auf dem Kunstrasen der Bühne von Hartmut Schörghofer zu erleben. Die Sprache hat Tempo, die Übergänge in die Musik, zum Gesang und in den Tanz sind unangestrengt. Das Ballett bedient Klischees aufs Stichwort, ein Walzer wird hingelegt und der Zigeuner Schnick-Schnack ist zum Fürchten. Dazu hat Choreograf Winfried Schneider mit den Sängern gearbeitet, deren Tänze ohne Perfektion sind Genüsse für sich. Marc Horus, der falsche Graf Tassilo als falscher Verwalter untergetaucht, stampft sich wütend in Hochform gegen verordnete Wehleidigkeit.
Schwesterlein, Schwesterlein: Jeanette Oswald (Fotos: Kai-Uwe Schulte-Bunert)
Selbstironisch, mit Lust am Spiel, dabei differenziert in Sprache, Gesang und Spiel, Frank Ernst als ominöser Baron Zsuspán. Jeanette Oswald, so langbeinig wie blond, spinnt als Lisa raffiniert ihre Fäden im Verborgenen, holt sich den Zsuspán ins Nest und sorgt aus für die Zukunft. Da bleibt Gerd Wiemer, ein herrlich beflissener fürstlicher Sicherheitschef mit Knopf im Ohr und Mafia-Outfit nicht mehr viel, als sich in die willigen Arme des unsterblichen Kammerdieners Tschekko zu werfen, den Hilmar Meier mit Augenzwinkern spielt. Zigeuner tanzen, machen Musik oder lesen aus der Hand, so auch Elke Kottmair, die der Gräfin das Glück ansagt und den Abend mit einer schönen Auftrittsarie beginnt. Ingeborg Schöpf glänzt in der Titelpartie, lässt eine Maske nach der anderen fallen, wenn sie zu viel trinkt fällt sie dazu ganz schön tief und kippt ab samt Sofa. Aber sofort hat sich und die anderen wieder im Griff und am Ende ganz schnell die Pistole in der Hand, wenn es darum geht den Markt zu bereinigen und die Patenschaften zu regeln. Zsuspán kassiert in Bukarest, Mariza in Budapest, mit dem sanierten Insolvenzgrafen Tassilo teilt sie Laptop und das wiederaufgerichtete Sofa.
Mit Hans-Jürgen Wiese als Karl-Stefan Liebenberg, Jutta Richter-Merz als Rettungstante, Christoph Simon als Zigeuner Berko, dem engagierten Chor und dem Orchester unter der Leitung von Christian Garbosnik ist das Ensemble komplett. Ein wenig raffinierter, subtiler und würziger könnte der heiße Csárdástraum aber schon klingen. Am Ende viel herzlicher Applaus für einen unterhaltenden Theaterabend, an dem es gelingt eine ziemlich unappetitliche Geschichte, in der es nur so wimmelt von kriminellen Gaunern, so schmackhaft zu servieren, dass wir erstaunt bemerken: so falsch tickt die Operette ja vielleicht doch nicht.
Weitere Aufführungen: 24., 26., 27. 01; 18., 19. 02.; 25., 26. 03.
Eine Textfassung des Artikels ist am 25. Januar in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.