Voll waren die Ränge in der Semperoper zu einem besonderen Konzert am Donnerstagabend: Daniel Barenboim gastierte in der Elbestadt und gab einen Klavierabend anläßlich des 200. Geburtstages von Frédéric Chopin. Den erst kürzlich mit dem Deutschen Kulturpreis ausgezeichneten, vielfach honorierten Musiker und Musikbotschafter Barenboim vorzustellen, hieße einen ganzen Eulenzoo nach Athen tragen. Dennoch sei an dieser Stelle herausgehoben, dass es nicht viele Musiker gibt, die sowohl als Solist als auch als Dirigent gleichermaßen seriös arbeiten und denen in beiden Metiers eine Weltkarriere beschieden ist.
Und doch hat man das Gefühl, der Musiker Barenboim findet besondere Ruhe und eine Art musikalisches Heimkehren am Flügel, ist doch das Instrument unter seinen Fingern direkter Träger des Ausdrucks und der Interpretation. Äußerlich nimmt man dies kaum wahr, Barenboim wirkt stets überlegt und über den Werken stehend, nur selten einmal sinkt er auch körperlich tief in eine Phrasierung hinein. Diese Seriösität überwiegt im ganzen Konzert und sie läßt uns auch das Geburtstagskind und seine Musik ernstnehmen, was wahrlich keine Selbstverständlichkeit ist.
Schon zu Beginn des Jubiläumsjahres überschüttet uns die Phonoindustrie mit dem Besten und Schönsten des romantischen Klavierkomponisten – allzuoft ist da Zweifel angebracht, wo Chopin allenfalls im Schatten des Candlelightdinners aus dem Lautsprecher vor sich hinsäuselt. Barenboim tritt der Konsum- und Ohrwurmgefahr, den letztlich der Komponist selbst mit einigen höchst eingängigen Werken heraufbeschwört, mit einem klug durchdachten Programm entgegen. Angesichts des Facettenreichtums des Chopinschen OEuvres vermisste man keine Kontrastwirkung, denn diese war bereits durch die Abfolge gegeben: Bereits dem Variationswerk "à la mode" über eine Melodie aus der Oper "Ludovic" von Hérold und Halévy konnte Barenboim klare Kontur geben.
Im folgenden Des-Dur-Nocturne findet der Pianist eine Natürlichkeit, eine Ebene, auf der die Musik wie von selbst dahingleitet. Immer markant ist die Melodiegebung der rechten Hand; in der 3. Sonate h-Moll gelingt ihm ein auf Kissen gebettetes Scherzo und eine jederzeit gefasste, geerdete Themenführung im Largo. Die virtuosen Ecksätze der Sonate haben Ecken und Kanten und Barenboim scheute sich nicht vor manchmal etwas roh wirkendem Kraftausdruck.
Nach der Pause sprach Barenboim das ohnehin bei diesem Konzert reichlich interagierende Publikum persönlich an und verbat sich die Hobbyfotografie aus dem Parkett – die Hustenlandschaft diesseits und jenseits der Bühne allerdings bildete ein eigenes Continuum. Das minderte aber auch nicht den guten Eindruck des zweiten Konzertteils, lediglich die 1. Ballade g-Moll wirkte in den dramatischen Teilen nicht voll kontrolliert. Zwei volkstümliche Mazurken umrahmten dann die wunderbar ausgeformte melancholische Mazurka a-Moll. In den folgenden drei Etüden ließ die dynamische Ausgeglichenheit etwas nach, obwohl Barenboim immer wieder zurück zu Besonnenheit und natürlichem Fluß fand. Perlende Läufe und vor allem harmonische Transparenz zeichnen sein Spiel aus.
Zwischen den Kontrastpolen vehement virtuosem Vorwärtsganges und inniger Melodiegestaltung pendelte auch das Scherzo, Opus 39 – überzeugend. Dem restlos begeisterten Applaus des Auditoriums folgte die fällige Sahnetorte für Chopin: ganze fünf Zugaben gab Barenboim, der nun mit dem Publikum spielte und auf dieser Torte nun doch die Wunderkerzen des "Best of Chopin" abbrannte. Jedoch war in solch hochrangiger Qualität die Würdigung eines Komponisten gelungen, den man hoffentlich künftig nicht mehr nebenbei hören wird. Dies lehrte uns Barenboim vortrefflich.
Eine Textfassung des Artikels ist am 27. Februar in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.