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Mit dem groben Hammer – Sir John Tomlinson im Liederabend

Durch die Zeiten haben die über 300 kurzen, bildstarken Gedichte des italienischen Bildhauers Michaelangelo verschiedene Komponisten zur Vertonung angeregt. In der Liederreihe der Semperoper erklangen am Montag die Lesarten von Benjamin Britten, Hugo Wolf und Dmitri Schostakowitsch.

Interpretiert wurden sie von Sir John Tomlinson. Der erfahrene Wagnersänger erschien im Michelangelokostüm auf der Bühne und erweckte die Musik auch schauspielerisch zum Leben. Eine kluge Entscheidung: denn auch wenn seine Stimme besonders in der Höhe allmählich zu eng wird, kann sich Tomlinson noch immer auf seine Bühnenpräsenz verlassen. Als leidenschaftlicher, Liebe und Schmerz erinnernder Weißbart im Bildhauerkittel durchlebte er die Sonette, die von Zorn, Trennung, von Unsterblichkeit und künstlerischem Stil handeln, setzte sich zu Tisch, sprang wieder auf, lauschte den Tönen nach. Der Liederabend geriet so zur Ein-Personen-Oper, zu der der Pianist David Owen Norris konzentriert-freundlich Begleitung beisteuerte.

Fast durchgängig gerieten dabei dem opernhaft intonierenden Bass die noblen, von Britten für den Tenor Peter Pears verfassten Lieder zu mächtig, zu dick. Hugo Wolfs pathetische, gegen Ende seines Lebens niedergeschriebenen Lieder wollten danach viel besser zu dieser Stimme passen. Volltönend, düster, voll schlimmer Ahnung beschwor der Sänger Michelangelos Tränenqualen. Bis in die ersten Schostakowitsch-Lieder ging das gut; dann versagten die stilistischen Vermittlungsversuche des Pianisten. Zu viele Nuancen in den bitteren, oft doppeldeutigen und anspielungsreichen Werken des Russen wurden von Tomlinson gnadenlos plattgesungen. Der „grobe Hammer“ zerschlug hier mehr, als dass durch seinen Schwung die bildnerische Kraft den Fels geformt hätte. Immerhin: der stets freundliche Applaus aus dem fast ausverkauften Parkett regten den Briten an, nun in seiner Heimatsprache weiterzusingen. Von Landsmann Ralph Vaughan Williams, dessen Liedzyklen hierzulande oft unterschätzt und selten aufgeführt werden, erklangen zwei versöhnliche Balladen.

Eine Textfassung des Artikels ist am 25. März in der Sächsischen Zeitung erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.

(Foto: Robert Workman)

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