In einer langen Tradition stehen die Palmsonntagskonzerte der Sächsischen Staatskapelle. Der Sonntag vor Ostern leitet die Karwoche ein – das Sinfoniekonzert an diesem Tag ist aus diesem Grund mit einem besonderen Programm bedacht. Dass Edward Elgars Oratorium "The Dream of Gerontius" erst jetzt zu diesem Anlass Eingang in die Kapellkonzerte findet, verwundert schon fast, denn just dieses Werk scheint besonders geeignet, sich mit der Thematik von Leid, Sterben und Erlösung intensiv auseinanderzusetzen. Elgar tat dies vor rund 110 Jahren – auf die Worte des Theologen John Henry Newman komponierte er ein abendfüllendes Oratorium, dessen musikalisch spätromantische Grundhaltung bei der Staatskapelle bestens aufgehoben war.
Mit dem Ehrendirigenten Sir Colin Davis am Pult des Orchesters war zudem die Garantie für eine höchst kompetente und eindringliche Interpretation gegeben. Gleich das Vorspiel enthüllte eine melancholisch-ernste Gedankenwelt, die Davis mit dem Orchester wunderbar ausmusizierte. Immer wieder waren es im Oratorium die großen Bögen und Steigerungen, die von faszinierender Leuchtkraft waren und von Davis aus großer Ruhe und immer dem musikalischen Fluß nachgebend, gestaltet wurden. Dabei stellt Elgar vor allem den Chor vor große Aufgaben.
Angesichts der puren Textmenge, die dem Publikum zu vermitteln ist, hat Pablo Assante mit dem Staatsopernchor eine große Leistung vollbracht. Weniger die perfekte Deklamation des englischen Textes zählte, denn eine verstehende Klangkultur. Damit lag auch Davis auf der richtigen Spur, denn die vielen Preisungen müssen nicht Wort für Wort zu verstehen sein, doch die Ausdruckshaltung der Erlösung oder die Atmosphäre eines Fegefeuers, das sollte über die Bühnenrampe gehen – diese Aufgabe löste der Chor meisterlich, ebenso in a-cappella-Passagen, Fugen und kleiner besetzten Halbchören, deren intonatorische Gefährlichkeiten nicht zu unterschätzen sind.
Hochrangig besetzt war das Solistentrio: die umfangreiche Tenorpartie des Gerontius bewältigte der Amerikaner Paul Groves mit zunehmender Leichtigkeit der Stimme und einer enorm differenzierten Charakterisierung zwischen Rezitativen und frei schwingenden ariosen Passagen. Sarah Connolly (Mezzo) zeichnete einen Engel jenseits menschlicher Leidenschaften: Zartheit und Entschlossenheit gingen hier eine harmonische Verbindung ein. John Relyea (Bass) als Todesengel und Priester besaß zwar ein volltönendes Organ, wusste aber außer einem recht lärmenden Grundton kaum sinnvolle Gestaltung dieses enormen Materials einzusetzen. Am Ende schaffte es Sir Colin Davis, die auskomponierte Unruhe der Seele durch den samtenen Klang der Kapelle in einen ungeheuer trostvollen Abschluss münden zu lassen, dessen finaler D-Dur-Akkord der gereinigten Seele endlichen Frieden bescherte. Die Wirkung dieses großartigen Werkes ist ungebrochen und wurde durch eine hervorragende Aufführung bestätigt.
Eine Textfassung des Artikels ist am 30. März in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.
Bild Sir Colin Davis: Sächsische Staatsoper Dresden