Die Geschichte des Musiktheaters muss umgeschrieben werden: Nicht Italien ist das Mutterland der Oper, sondern Sachsen. Genau gesagt, stand die Wiege des Musiktheaters in Dresden. Das ergaben überraschende Funde im Archiv der Sächsischen Staatsoper.
"Daphne" muß zurückstecken: das Musiktheater wurde doch nicht in Italien erfunden (Bildausschnitt: Giovanni Battista Tiepolo, "Apollo und Daphne")
Bereits vor der Florentiner Camerata und noch ehe Jacopo Peri 1597 „La Dafne“ und Claudio Monteverdi 1606 „L’Orfeo“ schrieben, wurde in Dresden ein abendfüllendes Stück produziert, dessen erste Aufführung zu Ostern 1512 stattgefunden hat. Allerdings, so Archivar Anselm Horst, habe es damals ja noch kein Opernhaus gegeben, die Premiere sei mit ziemlicher Sicherheit am Zusammenfluss von Weißeritz und Elbe zu lokalisieren und war somit zugleich die Geburtsstunde des neuzeitlichen Open-Air-Theaters.
Dass diese aufsehenerregenden Unterlagen so lange unentdeckt blieben, führt Horst auf die irreführende Bezeichnung des frühen Werkes zurück, das den Titel „Der Sumpf“ trägt. So wurde es nie dem Theater oder einem anderen künstlerischen Bereich zugeordnet, sondern verstaubte in der für Meliorationsfragen zuständigen Abteilung. Erst seinem genaueren Hinschauen sei die Entdeckung zu verdanken, so Anselm Horst mit berechtigtem Stolz.
Bisher ist die Musikwelt davon ausgegangen, das Italien die Heimstatt der Gattung war. Dieses Attribut kommt nun Dresden zu – wo bekanntlich schon Bierdeckel, Büstenhalter, Kaffeefilter, Kleinbildkamera, Lodenmantel und Teebeutel das Licht der Welt erblickten. Um Erfindungen im weitesten Sinn geht es auch in „Der Sumpf“, erläutert Horst nach einem gründlichen Studium des Librettos. Das Werk, dessen Autoren nicht vermerkt sind, handele vom Kampf Alt gegen Neu. Es versinnbildliche den „gottgewollten Erhalt von Sumpflandschaft“, daher der Titel, in der „Fremdes wie Teufelszeug versinken soll“. Nur was den „Himmelstest“ bestehe und heil am anderen Ufer ankomme, dürfe anerkannt werden.
Dass die Uraufführung just zu Ostern stattfand, könne auf die Nähe von heidnischen und christlichen Ritualen zurückzuführen sein, vermutet der Sprecher des Archivs. Es werde nun alles getan, um das vollständig erhaltene Notenmaterial – dem damaligen Instrumentalstand entsprechend ausschließlich für Holzinstrumente geschrieben – zu kopieren, um schon bald eine Wieder-Erstaufführung zu realisieren. Als denkbaren Termin spricht Anselm Horst vom Osterwochenende 2012 – exakt 500 Jahre nach der Uraufführung von „Der Sumpf“.