Offenheit ist sein Programm, und damit auch das Ignorieren stilistischer Grenzen. Und dies seit nunmehr dreißig Jahren mit seinem Projekt „Bach und Blues“ (das in späteren Jahren immer mal wieder in „Bach und Flamenco, … Samba …, Folk … abgewandelt wurde). Diese Vielseitigkeit in den musikalischen Sprachen verbindet Ulrich Thiem mit den Konstanten Bach und Cello. Und so darf man sicher mit Fug und Recht sagen, dass in dieser Balance zwischen weiten Horizonten und der Musik Bachs als dem Zentrum das Wesen der vergangenen dreißig „Thiem-Jahre“ besteht.
Schon von Kindesbeinen an interessierte und engagierte sich der Dresdner Cellist Ulrich Thiem für die Begegnung von Kammermusik mit Blues, Gospel und Jazz. Bereits in den siebziger Jahren schrieb er Stücke, die er selbst als „KammerJAZZmusiK“ rubrizierte. So entstand 1980 die Gruppe „Bach & Bues Dresden“, in der sich bis heute klassische und Jazzmusiker treffen und zusammen Konzert-Programme aufführen, in denen beide Stile gleichwertig berücksichtigt sind.
Dabei war „Bach und Blues“ (B&B) eher eine Plattform für immer wieder variierende Aktivitäten zum Thema oder ein Musiker-Pool, aus dem heraus sich konkrete Bach-und-Blues-Konzerte rekrutierten. Viele haben seither mitgewirkt: Annette Roth (Violine), Friedrich „Friwi" Sternberg (Klarinette/Saxophon), Jörg Naßler (Gitarre) und Andreas Böttcher (Vibraphon/Orgel). Um das künstlerische Spektrum weiter zu fassen (oder um das mittlerweile erweiterte künstlerische Spektrum namentlich besser zu fassen), änderte Ulrich Thiem 1984 den Namen des Projektes von „Bach & Blues“ in „Zwischen Bach und Blues“ – eine Hinwendung zu noch größerer Offenheit. Diese Öffnung wurde später noch konsequenter und stilistisch weiter vollzogen. 2001, mit dem Gitarristen Alejandro Leon, entschied sich Thiem, den Titel „Zwischen Bach und Blues“ von Fall zu Fall zu modifizieren, weil, so Thiem, „zum Beispiel das Programm mit Leon mit Blues wirklich nichts zu tun hat, sondern eindeutig südamerikanisch klingt“. Zu diesem Programm „Zwischen Bach und Samba“ kamen später „Zwischen Bach und Flamenco“ und „Zwischen Bach und Tango“ hinzu, seit Mai 2004 gibt es „Zwischen Bach und Jazz“, natürlich mit dem Gitarristen Jörg Naßler, sowie „Zwischen Bach und Akkordeon“ (mit Wladimir Artimowitsch) und „Zwischen Bach und Folklore“ (mit Franziska Dillner).
Und trotz Ausweitung zu Samba, Flamenco und Tango bleibt der Blues, vor allem gefasst als stilistisch-harmonisches Strukturschema, die zweite „tragende Säule“ der Thiem’schen Musik. „Ich muss daran erinnern, dass der Begriff Blues in den 70ern und 80ern in der DDR – z. B. durch die so genannten Blues-Messen in der Berliner Samariterkirche – eine geradezu politische Dimension bekommen hatte. Ein Programm, in dem Blues angekündigt war und das noch in einer Kirche stattfand, war von vorn herein politisch interessant, brisant.“ Der Start für Uli Thiem erfolgte diesbezüglich bei Pfarrer Eppelmanns Blues-Messen schon 1979 – also in einem politisch hochbrisanten Kontext. Diese einst DDR-spezifische Brisanz wohnt heute dem hiesigen Blues nicht mehr inne – ebenso wenig wie dem Freejazz. „Bach und Blues“ ist längst eine nahezu entideologisierte Verbindung auf den Konzertpodien Deutschlands, Österreichs und der Schweiz – Ulrich Thiems Hauptauftrittsgebiete – geworden.
Dabei ist es kaum zu glauben: Nach 30 Jahren des B&B-Projektes absolviert Thiem immer noch sage und schreibe etwa 170 Konzerte pro Jahr – dahinter verbergen sich jährlich etwa 50.000 gefahrene Kilometer! Uli Thiems Projekt ist mit einigen seiner Abwandlungen auf mehreren CDs dokumentiert. Bisher sind drei Teile von „Bach und Blues“ sowie „Zwischen Bach und Samba“ und „Entre Bach y Flamenco“ erschienen. Nun ist die neue CD "Zwischen Bach und Tango“ auf dem Markt.
Eine Textfassung des Artikels ist am 4. April in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen (Foto: Matthias Creutziger).