„Leben in dieser Zeit“ (1929) kommt mit seinem Untertitel „eine lyrische Suite“ ganz harmlos daher, ist aber in Wirklichkeit eine diskographische Sensation! 1929, dem Jahr der großen Weltwirtschaftskrise, war das Medium Radio gerade einmal sechs Jahre alt. Die Redakteure arbeiteten mit Hochdruck, um ein Programmangebot zu schaffen, das mit dem rasanten technischen Fortschritt mithalten konnte. Einige Programmgestalter hatten ein besonders ehrgeiziges Ziel: Sie wollten eine eigene „radiophone“ Musik – eine Musik, zugeschnitten auf die technischen Möglichkeiten des Lautsprechers.
Edmund Nick, Komponist und seit 1925 Leiter der Musikabteilung des Breslauer Rundfunks, und sein acht Jahre jüngerer Freund Erich Kästner stellten sich der Herausforderung. Das Resultat war „Leben in dieser Zeit“ – im Grunde eine noch nie dagewesene Gattung, ein Zeitstück mit ebenso brisanten wie zeitlosen Texten Kästners und Nicks eingängiger und eindringlicher Musik zwischen Jazz, Unterhaltungsmusik, großer Symphonik und Experiment. Die zeitgenössische Kritik verstand sofort: „Orchester, gesungene Lieder, gesprochene Gedichte, sprechende Stimmen, Sprechchor. Das Ganze der erste vollkommene Sieg des Ringens um Rundfunkkunst…“. Bis zur Machtergreifung der Nazis feierte das Werk große Erfolge im Radio, im Konzertsaal und sogar auf der Theaterbühne.
Die Weltersteinspielung dieses wiederentdeckten Meisterwerks durch die Staatsoperette Dresden ist soeben als Doppel-CD erschienen. Chefdirigent Ernst Theis leitet darauf Chor und Orchester der Staatsoperette Dresden, als Solisten sind beliebte Stars des Hauses zu erleben: mit dabei sind u. a. Elke Kottmair, Christian Grygas und Marcus Günzel. Als Sprecher wirken u.a. Walter Niklaus und der Kabarettist Peter Ensikat mit. Historisches Funkmaterial und Erinnerungen von Edmunds Nicks Tochter, der bedeutenden deutschen Lyrikerin Dagmar Nick, ergänzen, von ihr selbst gesprochen, dieses Hördokument.
Mit dieser CD-Veröffentlichung startet zugleich eine Reihe mit RadioMusiken, die die Staatsoperette in Zusammenarbeit mit MDR Figaro, Deutschlandradio Kultur und dem renommierten deutschen Klassik-Label CPO einspielt. Dabei handelt es sich um Kompositionen, die in den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts von nahezu allen Sendegesellschaften bei den bekanntesten zeitgenössischen Komponisten mit dem Ziel in Auftrag gegeben wurden, Musiken zu entwickeln, die den technischen Möglichkeiten des neuen Massenmediums angepasst sein sollten. RadioMusiken von Max Butting, Pavel Haas, Paul Hindemith, Eduard Künneke, Franz Schreker, Ernst Toch, Kurt Weill u.a. sind bereits eingespielt und sind für die CD-Veröffentlichung vorgesehen.