Das Borodin Quartett beehrte die „Russlandia“-Musikfestspiele mit einem der wohl bekanntesten Werke seines Namenspatrons, dem Nocturne aus dem 2. Streichquartett. Darauf folgt das 8. Streichquartett von Dmitri Schostakowitsch, das 1960 in Gohrisch in der sächsischen Schweiz unter den Eindrücken des zerstörten Dresdens entstand und von ebenjenem Quartett (wenn auch in anderer Besetzung) dem Komponisten höchstpersönlich vor der Uraufführung vorgespielt worden war. Abgerundet wurde das Programm vom Streichquartett A-Dur op.41 Nr. 3 von Robert Schumann, und damit gar nicht erst Fragen aufkamen, trug das Konzert auch noch den Untertitel „200 Jahre Schumann“. Irgendwie passte das alles zu gut.
Man lieferte Pflichtprogramm zwischen "Russlandia" und Schumannjahr (Foto: Thomas Müller)
Und so kam das Eingangsstück auch nur als routinierter Griff in die Repertoirekiste daher, von einem Quartett gespielt, dessen individuelle Klasse so gut und die Abstimmung so perfekt ist, dass es fast völlig ohne Interaktion oder Aufwand auskommt. So großartig der Klang der 1. Violine (Ruben Aharonian) und – besonders in der Tiefe – des Cellos (Vladimir Balshin) auch waren, so war die hochromantische Nocturne gerade mit den harten Trillern der alten russischen Geigerschule, zwar sozusagen sehr original, aber insgesamt doch etwas teilnahmslos routiniert musiziert.
Dieser Eindruck hielt leider auch im 1. Satz des Streichquartetts von Schostakowitsch an. Das spröde Klagelied mit den vertonten Schostakowitsch-Initialen d-es-c-h wurde vom Vibrato fast erdrückt, auch wenn die augenscheinliche Distanziertheit der Musiker hier besser passte als im Borodin. Der zweite Satz mit seinen individuellen wie kollektiven technischen Höchstschwierigkeiten war brillant gemeistert. Und auch wenn die Musik der Mittelsätze an sich so unter die Haut ging, fehlte der Interpretation doch der letzte Irrwitz. Die Wirkung auf die Zuhörer im Saal des Palais im Großen Garten verfehlte das Stück jedoch nicht. Langer, tief berührter Applaus verabschiedete die Musiker in die Pause.
Das Streichquartett von Schumann ist deutlich weniger emotional aufgeladen und interpretatorisch sehr heikel, denn die Leichtigkeit der Musik ist schwer über die ganze Distanz aller Wiederholungen zu bringen. Dies gelang im ersten Satz auch nicht vollständig. Der routiniert seidige Klang des Quartetts bedeckte das gesamte Stück und ließ jene Leichtigkeit nicht recht aufkommen. Viel interessanter wurde die Interpretation, als die Musiker im zweiten und dritten Satz dann endlich auch äußerlich ihre Zurückhaltung aufgaben und die verschiedenen Charaktere schön herausarbeiteten, woran 2. Violine und Bratsche trotz wenig spektakulärer Stimmen großen Anteil hatten. Der letzte Satz war hochvirtuos musiziert, auch wenn den schnellen Stellen die Präzision fehlte.
Lange ließen sich die Musiker nicht um eine Zugabe bitten. Das Allegro agitato aus dem 3. Streichquartett von Johannes Brahms ist auf den ersten Blick eine recht ungewöhnliche Wahl zu diesem Zweck. Hörte man das Borodin Quartett, allen voran seinen Bratscher Igor Naidin, jedoch dieses Stück musizieren, so wurde alles auf einmal klar. Der Bratschenklang war so samt, groß und tief, die Begleitung so einfühlsam und das Verständnis der Musiker untereinander so blind… Spätestens auf dem Heimweg durch den abendlichen Großen Garten verstand jeder Zuhörer: hier hatte ein Ensemble nach langer programmatischer Pflicht endlich seine Kür zeigen dürfen.