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Brahms in Moskau – Emanuel Ax und das Russische Nationalorchester in der Semperoper

Das zweite Wochenende der "Russlandia"-Musikfestspiele hatte einmal mehr orchestrale Leckerbissen zu bieten, dazu gab es beim zweiten Gastspiel des Russischen Nationalorchesters die (Wieder-)Entdeckung des russischen Komponisten Sergei Tanejew (1856-1915), der sehr zu Unrecht mehr Bekanntheit als Lehrer denn als Komponist erlangte.

Im Konzert in der Semperoper stand aber zunächst das 2. Klavierkonzert B-Dur Opus 83 von Johannes Brahms auf dem Programm. Dabei stand natürlich der großartige Solist Emanuel Ax im Vordergrund, aber auch die klangfarbliche Behandlung der Partitur des Russischen Nationalorchesters ist erwähnenswert. In diesem spezifischen Gesamtklang sind kulturelle und historische Besonderheiten natürlich einzubeziehen, und so klingt dieser Brahms eben für unsere Ohren etwas gewöhnungsbedürftig: die Streicher sind in höheren Lagen oft eng und obertonarm, die Holzbläser formen einen eher abgedunktelten Klang. Das Tutti klingt robust, solistisch kann den Russen ohnehin keiner etwas vormachen – eher fremdartig wirkt eine stark terrassenartige Abstufung der Haupt- und Nebenstimmen.

Emanuel Ax, sonst auf der anderen Seite der Erdkugel zu Hause, musizierte gut mit dem Orchester und seinem Gründer und Leiter Michail Pletnjow zusammen. Bezüglich emotionaler Tiefe hatte Ax allerdings einen  gewaltigen Vorsprung gegenüber dem recht brav begleitenden Ensemble. Seine Interpretation darf man durchaus als saftig bezeichnen, aber dies im besten Sinne pro Johannes Brahms. Die ersten beiden Sätze strotzten vor Kraft und Männlichkeit, überschritten aber nie die Grenze zum Poltern oder zum demonstrativen Virtuosentum. Dafür ist Ax viel zu sehr interessiert an Entstehen und Vergehen des musikalischen Flusses und das war meisterlich etwa im 3. Satz ausgeführt. Der Pianist ließ sich auch nicht vom kontinuierlich zwischen den Sätzen klatschenden Publikum aus der Ruhe bringen und brachte das Konzert zu einem gebührenden Abschluss.

Nach diesem Kraftakt war um so staunenswerter, dass Ax die (schon im langsamen Satz mit wunderbarem Solo brillierende) Cellistin vom ersten Pult zu sich rief und sichtlich gelassen dem Publikum mitteilte: "Wir spielen noch ein bißchen Schumann" – auswendig und mit dem Rücken zur ebenso souverän musizierenden Dame aus dem Orchester erklang ein Satz aus den "Phantasiestücken".

Die Koppelung mit Sergei Tanejews Sinfonik erschien sinnfällig, denn hier sind harmonisch und kontrapunktisch enge Verwandtschaften zu beobachten. Unergründlich ist mir, warum die 4. Sinfonie c-Moll Opus 12 kaum von westlichen Orchestern gespielt wird – an Spannung, Seele und vielen typisch russischen Klangfarben fehlte es nicht. Michail Pletnjow führte mit ernster Miene und effizient-sparsamer Zeichengebung durch die Partitur und konnte sich aufmerksamer Reaktion im Orchester sicher sein. Schön, dass man hier erfahren konnte, dass Brahms in Moskau ganz anders klingt und die russische Seele nicht nur aus Tschaikowski-Melodien schöpft.

Eine Textfassung des Artikels ist am 1. Juni in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.

Foto Emanuel Ax: J. Henry Fair
 

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