Eine allein würde ja uns schon für feinsten Musikgenuss genügen. Die junge Geigerin Baiba Skride beschert uns seit einigen Jahren rassige Interpretationen, während ihre Schwester Lauma Skride als feinsinnige Entdeckerin am Klavier gilt. Dementsprechend weckt natürlich ein Konzert der lettischen Schwestern Erwartungen. Natürlich versteht man sich beim familiären Stelldichein fast blind und nimmt jede körperliche Regung des Partners wahr, doch sorgen gerade die unterschiedlichen Temperamente und Erfahrungshorizonte in musizierenden Familien-Ensembles für eine äußerst kreative Spannung.
Das Konzert von Baiba und Lauma Skride im Palais im Großen Garten bestätigte diesen Eindruck. Baiba war oft der vorantreibende, energische Part, während Lauma kontrollierter wirkte und vor allem das dynamische Zusammenspiel zur Rundung brachte. Drei Sonaten völlig unterschiedlicher Couleur hatten die beiden Damen ausgewählt: Mit Werken von Schubert, Ravel und Schostakowitsch waren überraschenderweise weder die großen Klassiker der Sonatenkultur vertreten noch stand ein leichtfüßiger Piècen-Abend bevor. Und bereits die recht konventionelle D-Dur-Sonate von Franz Schubert durchwehte eine Art leichter Ernst, der nicht mehr weichen sollte – Baiba und Lauma Skride gaben sich der Musik vollends hin und wollten sich beim Musikfestspielgastspiel keinesfalls mit oberflächlichem Glanz zufrieden geben. So hielt sich Lauma Skride hier am Klavier noch zurück – die Schubert-Sonate bekam so einen ganz luftig-weichen Charakter.
Die Violinsonate von Maurice Ravel hingegen Violinsonate ist ein ziemliches Unikat: die rasch wechselnden Farben und Spielarten gingen die Schwestern souverän und mit einigem Risiko an. So bekam man im Blues angesichts knallharter Pizzicati einige Male Angst um Baibas Saiten, sie fand aber am Ende dieses Satzes zu extremer Zartheit zurück, um anschließend in furioser Manier mit ihrer Schwester durch den 3. Satz zu jagen. Dass beide die Sonate bei dieser Leidenschaftlichkeit noch klar strukturierten und immer wieder zu schwebendem Spiel fanden, nötigt höchsten Respekt ab.
Tief eingedrungen in das ernste Spätwerk von Dmitri Schostakowitsch: Baiba und Lauma Skride
Nach der Pause stand dann der Beitrag zu "Russlandia" auf dem Programm – die späte Violinsonate von Dmitri Schostakowitsch zählt wohl zu den traurigsten und auch verstörendsten Werken dieses Genres. Baiba und Lauma Skride erreichten einen Grad der Versenkung in dieses Werk, die die Zuhörer nachhaltig erschütterte. Vom dünnhäutigen einstimmigen Einstieg des 1. Satzes über die ziellose Cholerik des Mittelsatzes bis hin zum Schock der separierten, verzweifelten Solo-Ausbrüche beider Musiker im 3. Satz war dies eine große Interpretation, bei der Baiba mit oft scharfer Tongebung und trockenen Pizzicati die Partitur bis auf die Knochen führte. Lauma Skride war in allen drei Sätzen atmend präsent, leiseste melodische Passagen von Baiba Skriede wiesen immer Linie und Ziel auf – so demonstrierten beide die Unaufhaltsamkeit der musikalischen Aussage bis zum verzitterten, sich in Sprachlosigkeit flüchtenden Schluss dieses Meisterwerkes.
Nach dieser Sonate hätte man den Konzertabend gerne beenden mögen, doch "Schön Rosmarin" von Fritz Kreisler flatterte als erste Zugabe von der Bühne, als ob vorher nichts gewesen wäre. Sollte darin eine Botschaft versteckt gewesen sein, so die, dass sich das Leben weiterdreht, erst recht im Tanze, wie die zweite Zugabe (Bartók) bewies.
Eine Textfassung des Artikels ist am 3. Juni in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.
Foto: Marco Borggreve