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Mit »Russlandia« die »Neue Welt« übertroffen

 
Valeri Gergiev: „Wo dirigiere ich heute abend, in der Semperoper?“ „Nein, im Kulturpalast.“ „Wie ist dort die Akustik?“ „Nun…“ „Wissen Sie, in St. Petersburg habe ich den Verantwortlichen klar gemacht, dass mein Orchester einen guten Saal braucht. Nun haben wir die akustisch beste Konzerthalle der Welt.“ „Erzählen Sie das bitte den Dresdner Verantwortlichen…“ „Natürlich, das werde ich!“ (Foto: Sonja Werner)

Seit 2009 werden die Dresdner Musikfestspiele von einem neuen Intendanten geleitet. Der Cellist Jan Vogler hat das finanziell schwächelnde Festival neu aufgestellt und ihm mithilfe zahlreicher Sponsoren einen neuen, glamourösen Anstrich verliehen. Nun geben sich allsommerlich statt beliebter Lokalmatadoren auch mehr und mehr bekannte Weltstars der Klassik die Klinke von Frauenkirche, Kulturpalast und Semperoper in die Hand.

Das diesjährige Programm unter dem Motto »Russlandia« übertrifft dabei das der vorjährigen »Neuen Welt« noch einmal. Auch wenn Interpreten wie die Pianistin Hélène Grimaud, der Bratscher Yuri Bashmet oder der Geiger Leonidas Kavakos ihren Dresdenbesuch leider absagen mussten, durften sich Musikfreunde in den vergangenen Tagen von Höhepunkt zu Höhepunkt hangeln. Hervorragend präsentierten sich etwa die Geigerin Isabelle Faust mit dem Schumannschen Violinkonzert oder das Pittsburgh Symphony Orchestra unter dem Dirigenten Manfred Honeck (minutenlange stehende Ovationen, rauschende Bravorufe, drei herrliche Zugaben im Semperopernrund). Für Jubel sorgten auch Kurt Masur, Vadim Repin oder das „Theatre of Voices“ von Paul Hillier. Liest man die Dresdner Tageszeitungen quer, war dieses Jahr von vielen Abenden zu lesen, es seien Aufführungen von ungewöhnlich hoher Qualität gewesen. Die Kritiker zeigten sich fast ausnahmslos begeistert von Voglers künstlerischen Dispositionen.

Der im Rahmen des Festivals seit sechs Jahren verliehene Preis, ehemals als „Saeculum“ für ein künstlerisches Lebenswerk ausgereicht, hat sich mit seiner jüngsten Ausgabe spürbar verjüngt. Den „Glashütte Original MusikFestspielPreis“, der nunmehr für die engagierte Nachwuchsarbeit des Preisträgers steht, darf dieses Jahr der Dirigent Valeri Gergiev mit nach Russland nehmen, wo er mithilfe des Preisgeldes dem zuletzt eher vor sich hindämmernden Moskauer Tschaikowski-Wettbewerb neue Frische einhauchen will. Gergiev bedankte sich mit einem bewegenden Konzert seines St. Petersburger Hausorchesters im Kulturpalast.

Bei den äußerst hochgesteckten Zielen Voglers ist es denn nicht verwunderlich, wenn Theorie und Praxis an einigen Eckpunkten der Musikfestspiele noch sicht- und hörbar auseinanderlaufen. Zuerst gilt es wohl am Procedere der MusikFestspielPreisverleihung weiter zu feilen. Im wenig schmucken Großen Saal des Kulturpalastes leitete der Preisstifter die Übergabe mit ein paar holprigen Worten ein, während die Blechbläser sich hinter der Bühne hörbar für eine Tschaikowski-Sinfonie warmliefen. Zwei schick frisierte Azubis der Uhrenfirma standen nur peinlich berührt dabei. Vielleicht wäre es zukünftig stimmiger, den Preis lieber für sich selbst sprechen zu lassen und beispielsweise einen Film über die Ergebnisse der Arbeit der vorigen Preisträger abzuspielen? 

Überhaupt: Weltstars verdienen auch Konzertsäle mit Weltklasseakustik! In der halligen Frauenkirche oder dem jede Feinheit schluckenden Kulturpalastsaal kommt die wirkliche Qualität eines Orchesters oder eines Solisten natürlich nicht annähernd so zur Geltung wie etwa im 2006 für nur 24 Millionen Euro gebauten Konzertsaal des Mariinski-Theaters St. Petersburg. Andere Musikfestspiel-Quartiere wie die Gläserne Manufaktur enttäuschen übrigens ebenfalls. Während des Konzerts des Pianisten Martin Stadtfeld rauschte dort die Klimaanlage elegisch, pünktlich zum Tagesschichtende wurden die meisten Lampen automatisch ausgeschaltet, und es bedurfte noch mehr als eines mahnenden Intendantenblickes, damit ein Verantwortlicher losstürzte und den letzten engagierten Autobauern ihr geräuschvolles Fließbandwerkeln für den Rest des ansonsten fantastischen Konzertes verbot.

Dass seit Beginn von Voglers Amtszeit mehr und mehr Zuhörer auch zwischen den Sätzen einer klassischen Sinfonie oder eines Solokonzertes begeistert klatschen, mag man als Beweis dafür nehmen, dass durch die neue Programmpolitik tatsächlich mehr und mehr Musikneulinge den Weg ins Konzert finden. In diesem Sinne: auf in den dritten, noch erfolgreicheren Jahrgang der Musikfestspiele unter Vogler. Was mag uns da demnächst, nach den Blicken in die „Neue Welt“ und nach „Russlandia“, bevorstehen: vielleicht der Weg in die unendlichen Weiten des Alls? Bis zum Herbst ist das Programm geheim, Wetten werden angenommen.

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