Charles Gounods Oper bezieht sich auch auf den ersten Teil von Goethes Dichtung, mischt sie aber mit einer französischen Vorlage, „Faust et Marguerite“ und ist seit ihrer Pariser Uraufführung 1859 als tragische Liebesgeschichte ein Welterfolg. Zum Erfolg wurde auch die jüngste Premiere des Werkes in Dresden. Eine unterhaltsame Bilderfolge, geschickt und optisch routiniert in Szene gesetzt durch den englischen Regisseur Keith Warner und die Bühnenbildnerin Es Devlin mit so reichenhaltigem wie attraktivem Kostümangebot von Julia Müer, das besonders in der eleganten Damenmode schon mal die Linien der belle epoque anklingen lässt.
Allerdings bleiben besonders die ersten Bilder, wenn der alte Faust mit Méphistophélès Hilfe, der aus dem Theaterhimmel herabschwebt dieweil seine Höllenhunde auf Erden längst auf ihn warten, wieder jung wird, auch schon die wesentlich stärkeren optischen Teile des fünfaktigen Abends in drei Teilen mit zwei Pausen.
Es ist von schöner Komik, wenn der Sänger Wookyung Kim mit Augenzwinkern den alten Mann gibt, kaum den Zaubertrank herunter hat einen Purzelbaum schlägt und clownesk vergnügt durch die Szene hüpft. Nicht genug, er muss noch mal unter den Zaubermantel, kommt als Kind hervor, vor dessen Augen jetzt das zurückgedrehte Lebensrad sich wieder vorwärts dreht und wie im Zauber der vergrößerten Spiegelung eines Wunderapparates namens „Zeotrop“ die knallbunten Figuren einer üppigen Offenbachrevue aus Lebenskampf und Lebensgier, wie einen absurden Totentanz zu Gounods herrlich unterhaltender Musik auf die Bühne schleudert.
Der Teufelskerl an Fausts Seite, ein jovialer, serviler Typ, verschmitzt tänzelt Donnie Ray Albert in überlegener Behäbigkeit durch die Szene, sein goldenes Kalb, das er im berühmten Rondo besingt, ist eine Kanone aus Edelmetall, und statt Wein kredenzt er klebriges Blut aus dem Rohr der vergötterten Kriegsmaschine. Wie ein harter Schnitt wird das Treiben beendet, wenn Markus Butter als Marguertites Bruder Valentine Abschied nimmt um in den Krieg zu ziehen. Wenn er wieder kommt, sieht alles anders aus, denn schon begegnet Faust dessen Schwester, um die sich der junge Soldat eben noch mit berührenden Tönen sorgt.
Wie Mimi aus einem anderen Welterfolg der Oper, im Mantel, die Hände im Muff, begegnet Maria Fontosh dem Faust. Für beide wird diese Begegnung der Anfang vom Ende sein. In einem künstlichen, herbstlichen Paradies von Satans Gnaden kann keine Liebe blühen. Marguerite bekommt ihr Kind auf einem Schlachtfeld und ohrenbetäubend knallig schmettern die Überlebenden wie aus Rache den Lebenden ihre schönen Erlebnisse ins Ohr, dazu wird der Säugling gleich mal als Siegestrophäe durch die Luft geschleudert. Da sind sie alle schon in einem übergroßen Sanatorium unter mächtigen Spiegeln, stehen gewissermaßen im eigenen Licht und müssten das eigene Abbild ertragen.
Marguerite wird das Kind ihrer Liebe, die zu Ende war ehe sie begann, ersticken. Faust, rasch sichtlich gealtert, greift zur Flasche. Méphistophélès, während er heuchlerisch zur Flucht antreibt, fesselt die längst gebrochene Frau, und da wo eigentlich unter lieblichsten Gesängen ihre gerettete Seele gen Himmel schweben sollte, züngeln die Flammen ihres Scheiterhaufens in die Höhe. Auch ein Kollateralschaden. Experiment am lebenden Menschen mit tödlichem Ausgang.
All das, bei gestrichener Walpurgisnacht, szenisch mehr oder weniger überzeugend, geschieht unter dem anhaltend hell leuchtenden Stern einer musikalischen Glanzleistung. Unter der Leitung von Alexander Joel lässt die Staatskapelle Gounods Partitur mit vielen Schattierungen erklingen. Da wird der herrlich unterhaltende Übermut mit Lust musiziert, mit Hingabe manche Sentimentalität veredelt, es gibt atemberaubende Spannungsbögen, und den vorzüglichen Sängern wird beste Begleitung zuteil.
Der Faust des Wookyung Kim, und nicht nur wegen seines phänomenal stahlenden hohen Cs, ist ein Dresdner Tenorwunder und dürfte sich endgültig, elegant und geschmeidig, in die Oberliga seines Faches gesungen haben. Donnie Ray Albert gibt einen gestandenen teuflischen Begleiter, nicht die Kraft, eher die List, auch in der Tongebung, ist seine Stärke. Maria Fontosh findet für die Marguerite berührende Töne, die tragisch-dramatischen gelingen ihrer reiferen Stimme eher als etwa der koloraturenverzierte, jugendlich, naive Überschwang der Juwelenarie. Ausgesprochen intensiv gibt Markus Butter den Valentin, Stephanie Atanasov als unglücklicher Siébel bleibt im Spiel etwas ungelenk, überzeugt dafür gesanglich mehr. Mit Michael Eder als Wagner, Constance Heller in Stimme und Erscheinung eine eher junge Marthe, sind die kleineren Partien bestens besetzt. Etliche Chorszenen dieser Oper sind bekannt, man hört sie gerne, so wie jetzt in der Einstudierung von Pablo Assante, unter Alexander Joels inspirierter Leitung, erst recht und mitunter wie neu. Die Damen allein, oder die stimmgewaltigen Herren, alle zusammen, gesanglich ein Opernchor der Sonderklasse, dem allerdings einige wenige, wahrhaft knapp und einfach gehaltene choreografische Aufgaben Probleme bereiten.
Am Ende, in der Oper und auf dem Platz davor, großer Jubel, große Freude. Oper für alle, ein Fest für jedermann, nichts ist unterhaltender als das Unglück anderer mit schöner Musik.
Weitere Aufführungen: 11., 16., 19., 24.06.
Eine Textfassung des Artikels ist am 7. Juni in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.