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Militanz und Redundanz – „Hello, Dolly“ an der Staatsoperette

Vorsicht! Jerry Herrmanns „unverwüstliches Musical“, wie das Programmheft der Staatsoperette meint, ist ein Stück mit Tücken. Eine der größten Tücken ist die Unmenge an Texten, die von der Hauptdarstellerin besonders, von den anderen aber auch, bewältigt werden müssen. Es ist, das wird leicht übersehen, eine musikalische Komödie, deren Buch Michael Stewart nach einem Stück von Thornton Wilder schrieb, der sich wiederum bei Johann Nestroy etliche Anregungen für seine melancholische Posse mit der fulminanten Hauptrolle holte.

An alledem ist die Zeit aber dennoch nicht spurlos vorüber gegangen, ihr Zahn hat kräftig genagt und die Staubschicht lässt den Humor von vorgestern nur selten noch durchblitzen. Ein solches Stück, will man es heute auf die Bühne bringen, braucht den besonderen Zugriff eines kreativen Regieteams im Verein mit Darstellern, die die Fallen des Klischees kennen und auch umspielen können, dazu jene Art der Musikalität, die verblüfft, verzückt und vor allem beim scheinbar Bekannten überrascht.

Bettina Weichert befolgte sicher alle Anweisungen – "aber eben auch nicht einen Deut mehr"

Eine andere Tücke ist die, dass die Dramaturgie ja keinerlei Überraschungen bietet. Von Beginn an ist klar, dass die aufgedrehte und distanzlose Witwe Dolly Gallagher Levi ihre Kuppelkünste als Heiratsvermittlerin dieses Mal einzig dazu einsetzten wird um den nicht gerade unvermögenden Witwer Horace Vandergelder, mit Segen ihres verstorbenen Gatten von ganz oben, selber zu ehelichen. Ob sie das „Frauchen“ ist, das sich der grantelnde Brummbär am Herd und auf dem Sofa wünscht muss man nicht mal bezweifeln. Sie ist es nicht. Wenn diese nervige Quasselstrippe aber erst mal auf seinem Sofa sitzt, dann haben vielleicht alle anderen eine Weile vor ihr ihre Ruhe. Dolly kann ja auch nicht alleine glücklich sein. Drei weitere Paare gehen im Verlauf des nicht übermäßig kurzweiligen Abends auf ihre Kosten. 

Noch eine Tücke: das Stück hat eigentlich nur einen richtigen Hit. Der Titelsong, wirklich weltbekannt, gejazzt, geschnulzt, verpoppt, gerockt oder eben im Original, von Stars und Sternchen gesungen, ist ein echter Ohrwurm. Ansonsten etliche Durststrecken, abgesehen von viel Militanz zum Mitklatschen. 

In der Staatoperette wähnt man sich streckenweise beim Dirigat von Christian Garbosnik auf dem Exerzierplatz, Winfried Schneiders Choreografien, die schon einfallsreicher waren, fügen sich und huldigen dem Drill. Schneider, zugleich Regisseur, konnte gerade der Hauptdarstellerin nicht dazu verhelfen in ihrem Textschwall ohne Pausen, Punkt und Komma, wenigstens Ansätze von Untertönen und Differenzierungen zu finden. Man bewundert den Fleiß, insbesondere den der Protagonistin Bettina Weichert. Ihrer Unverschämtheit fehlt das Verschämte, fehlt die Not, das Hinterland. Sie befolgt sicher alle Anweisungen, eine lautet, dass Dolly immer eine große bunte Tasche trägt, sie tut es, aber eben auch nicht einen Deut mehr.  

Ähnlich verhält es sich bei fast allen weiteren Darstellerinnen und Darstellern, würde man sie nicht anders kennen, wie etwa Marcus Günzel, man fragte sich hier entsetzt wo der Mann sein Talent gelassen hat. Auch Jessica Glatte hat man in so schmalen Dimensionen noch nicht erleben müssen. Immerhin, Jürgen Mai ist als Dollys Objekt der Begierde ein liebenswürdiger Miesepeter, Mandy Grabrecht als Ulknudel Ernestina könnte sicher noch schriller sein, und Henryk Wolf ist in der Darstellerriege eine Überraschung. Der Tänzer kann in seiner kleinen Rolle als Gehilfe des Kaufmanns durch die Direktheit seines naiven Spiels überzeugen, tänzerisch sowieso und mit dem Singen geht es weiter voran. 

"Liebenswürdiger Miesepeter": Jürgen Mai (Fotos: Kai-Uwe Schulte-Bunert)

Das Bühnenbild von Daniel Gantz ermöglicht schnelle Wechsel, optische Glanzpunkte setzt es in seiner Praktikabilität nicht, die wackligen Séparées im New Yorker Nobelrestaurant „Harmonia Garden“ wirken wie peinliche Notlösungen. Alles andere als peinlich hingegen sind die Kostüme von Thorsten Fietze, Amerikas Glanz am Ende des vorletzten Jahrhunderts, farbig und voller Details, dazu herrliche Hutparaden. Schade, dass mit der Dame, die lebende Vögel auf ihrem Kopf trägt, niemand geübt hat, sich damit auch ganz unverklemmt zu bewegen.

Aber es gibt fast immer eine zweite Chance. Die gibt es hier auf jeden Fall. Nach der Sommerpause, am 4. September, eröffnet „Hello, Dolly“, in fast komplett neuer Besetzung, mit Elke Kottmair in der Titelpartie, die neue Saison.
                
Nächste Aufführungen: 23., 24., 25. Juni

Eine Textfassung des Artikels ist am 21. Juni in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.

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