Dass Gerd Uecker mit der Spielzeit 2003/2004 die Intendanz der Sächsischen Staatsoper übernehmen würde, stand schon geraume Zeit davor fest. Im Hinblick auf seine Gestaltung dieses Amtes gab es nicht nur Ideen. Es gab Pläne, Absprachen und Allianzen. Eine ging zunächst von Giuseppe Sinopoli, dem damaligen Chefdirigenten der Staatskapelle aus, der das Amt des Generalmusikdirektors anstrebte und Ausschau hielt nach einem Intendanten als Partner.
In einer solchen künstlerischen Zusammenarbeit sah auch Gerd Uecker beste Perspektiven, zumal er sich auf Erfahrungen in München, wo er seit 1993 Operndirektor der Bayerischen Staatsoper war, berufen konnte. Schon waren die Pläne für die gemeinsame Eröffnungsspielzeit fast komplett, da erlitt der Dirigent während einer Aufführung von Verdis „Aida“, am 20. April 2001, in der Deutschen Oper Berlin, einen Herzinfarkt an dem er kurz darauf verstarb.
Im Hinblick auf einen Wechsel von Kontinuität und Innovation für das szenische Geschehen auf der Bühne der Semperoper hatte Gerd Uecker etliche Vorüberlegungen mit dem Regisseur und Bühnenbildner Herbert Wernicke getroffen, auch im Hinblick auf die Erneuerung barocker Opernkunst in der Barockmetropole Dresden, deren musikalische Traditionen, nicht zuletzt die der Staatskapelle, in dieser Epoche starke Wurzeln haben. Herbert Wernicke verstarb am 16. April 2002. Ein gemeinsam geplantes Projekt konnte verwirklicht werden, Wernickes Collage mit der Musik von Heinrich Schütz, „Wie liegt die Stadt so wüst“ kam auf die Bühne. Trotz naheliegender Beziehungen zum Ort, sowohl historischer als auch aktueller Art, konnte sich diese Hommage an einen großen Dresdner nicht beim Publikum durchsetzten.
Als Gerd Uecker sein Amt 2003 antrat, da waren die Schäden und Auswirkungen der großen Flut von 2002 längst nicht beseitigt. Dass in seiner Intendanz Wagners Ring sich erst runden solle, war so nicht geplant. „Die Götterdämmerung“ war dann die erste Premiere seiner Amtszeit, die jetzt nach sieben Jahren zu Ende geht.
Viel Unglück zu Beginn. Sieben Jahre Pech wurden es nicht, im Gegenteil, in der Rückschau leuchten etliche Premieren und mehr als premierenreif besetzte Repertoirevorstellungen sehr hell in der Erinnerung. Für Dresden einen unsicheren Platz in der Oberliga der Jet-Set Stars, Überflieger und medienkonformer Eintagsfliegen zu ertrotzen, war nie die Absicht Gerd Ueckers und wohl auch nie das Markenzeichen hiesiger Operntraditionen (s. auch Ueckers Interview mit »Musik in Dresden«).
In seiner ersten Saison, damals noch mit acht Premieren auf der großen Bühne, davon zwei Ballettproduktionen, wird erkennbar, worauf der scheidende Intendant in der Rückschau verweist. Er wollte unterschiedliche Sichtweisen auf bekannte Werke präsentieren, bewährte und junge Regisseure in Dresden vorstellen.
Außergewöhnliche Deutung: "Peter Grimes"
An Günter Krämers Operetteninszenierung „Die Fledermaus“ auf Gisbert Jäkels Riesensofa schieden sich die Geister. Mit Sebastian Baumgarten als jungen Vertreter des sogenannten „Regietheaters“ – ein Begriff den Gerd Uecker nicht schätzt – holte er für die „Wozzeck“ – Inszenierung mehr als einen Ersatz. Ursprünglich war Herbert Wernicke vorgesehen. Wie man Widersprüchlichkeit produktiv werden lassen kann, hat Baumgarten spätestens mit seiner außergewöhnlichen Deutung von Brittens Oper „Peter Grimes“ 2007 bewiesen.
Gemäß seiner Idee, das italienische Repertoire zum Schwerpunkt des Spielplans zu machen, folgten der weniger aufregenden Sichtweise auf Verdis „Don Carlo“ die interessantere Andreas Homokis auf Puccinis „Turandot“. Verdis „Macbeth“ wurde musikalisch und szenisch ein Erfolg. „Otello“ vor allem, „Rigoletto“ dann auch optisch, wurden zum Fest der schönen Stimmen. Ziemlich einfallslos geriet Michael Hampes Inszenierung „Il trovatore“ und über Homokis Deutung der „La traviata“ entlud sich lautstarker Widerspruch zur Premiere.
Das Strauss-Repertoire wurde um „Salome“ und die selten zu erlebende „Die Liebe der Danae“ erweitert. Außerdem gelang es mit nachhaltigem Erfolg an Dresdner Uraufführungen zu erinnern. Othmar Schoecks „Penthesilea“ in der so grandiosen wie furiosen Inszenierung Günter Krämers, Philipp Himmelmanns Sicht auf die Dresdner Urfassung von Hindemiths „Cardillac“ sind kraftvolle Beispiele.
Ja, wo laufen sie denn, die Barockopern? An der Semperoper jedenfalls nur selten (hier: Händels "Giulio Cesare in Egitto")
Die Bemühungen um die Barockoper wurden spät, aber nicht zu spät, von Erfolg gekrönt mit der optisch unterhaltsamen, musikalisch überzeugenden Aufführung von Händels „Giulio Cesare in Egitto“ in Gerd Ueckers letzter Spielzeit. Weniger erfolgreich war ein Rettungsversuch für Franz Schmidts „Notre Dame“, ein unbedingter Wunsch des dann schon ehemaligen Generalmusikdirektors Fabio Luisi, erst erwählt von der Staatskapelle und dann, als der nächste Erwählte schon vor der Pforte stand, verworfen.
Am Ende der Intendanz gibt es noch einen großen musikalischen Pluspunkt, Guonods „Faust/Margarete“ mit dem jungen Alexander Joel am Pult. Nicht weniger erfolgreich 2007 „La Damnation de Faust“ von Berlioz, schade nur, dass hier nicht aller guten Dinge drei sein werden und der Sprung ins 20. Jahrhundert folgen kann, etwa mit Alfred Schnittkes Version des Faust-Stoffes von 1995. Ueckers Ideen, amerikanische und slawische Opern stärker zu berücksichtigen blieben mit zwei Werken, „Dead Man Walking“ von Jake Heggie und „Boris Godunow“ von Mussorgski hinter möglichen Wünschen zurück, setzten aber dennoch Akzente für die Erweiterung des Repertoires, noch dazu mit so unterschiedlichen Arten des Musiktheaters.
Als die Oper vors Haus wanderte: "Faust/Margarete" im Public Viewing, mit Picknickkörbchen vom Sternekoch (Fotos: M. Creutziger)
Wagners „Meistersinger“ kamen und verschwanden, auf nur zwei Aufführungen brachte es die (halbe) Uraufführung der Dresdner Fassung von Adriana Hölszkys Stück „Der gute Gott von Manhattan“ nach dem Hörspiel von Ingeborg Bachmann. Die eine „richtige“ Uraufführung, Manfred Trojans „La grande maggia“ erhielt mehr Zuspruch. Mit „L´ Upupa und der Triumph der Sohnesliebe“ kam erstmals ein Werk von Hans Werner Henze auf die Bühne der dritten Semperoper in ihrer Jubiläumsspielzeit, 25 Jahre nach der Wiedereröffnung, am 13. Februar 1985. Die „Fidelio“- Inszenierung von Christine Mielitz von 1989 kam noch einmal auf die Bühne, ihre damalige Brisanz schwer nachzuvollziehen, ganz anders bei der legendären Inszenierung der „Elektra“ von Ruth Bergahaus aus dem Jahre 1986, von der es galt für immer Abschied zu nehmen.
Mal weniger, mal mehr intensiv genutzt, aber eigentlich immer einen Ausflug wert, die kleine szene in Mary Wigmans ehemaliger Schule als freies Feld der Experimente für die Staatsoper in Kooperationen mit Dresdner Kunsthochschulen. Mit Gerd Ueckers Abschied schließt diese Spielstätte ihre Pforten.
Eine Textfassung des Artikels ist am 3. Juli in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.